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Nachricht vom 28.05.2015    

Neophyten – gut oder schlecht?

Unter diesem Titel veranstaltete das Forstamt Dierdorf am Mittwoch, 27. Mai im Dorfgemeinschaftshaus in Oberraden eine Informationsveranstaltung mit dem Neuwieder Kultursoziologen Dr. Lutz Neitzert, der sich seit vielen Jahren mit den Arten und Weisen unseres gesellschaftlichen und kulturellen Umgangs mit der Natur befasst.

Dr. Lutz Neitzert zeigt auf, dass ganz oben auf dem Kölner Dom botanische Neophyten gefunden wurden. Fotos: Helmi Tischler-Venter.

Oberraden. Forstamtsleiter Uwe Hoffmann konnte eine ganze Reihe Kollegen, Kommunalpolitiker und Umweltinteressierte begrüßen. Dr. Lutz Neitzert der als Hörfunkautor bekannt ist, referierte über das Thema Neophyten mit viel Schwung und unterhaltsamen Ideen. Mit einem Foto von der Neophytenbekämpfung in den USA verblüffte er das Publikum gleich zu Beginn, denn der dortige Kampf galt dem in Europa sehr beliebten Johanniskraut! Neitzert definierte Neophyten als buchstäblich „unbeschriebene Blätter“. Erst nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus machten sich diese Neuankömmlinge in Europa breit, gefördert durch Menschen. Ein mexikanisches Gras ist der invasivste Neophyt: Mais, der in Monokultur große Flächen bedeckt.

Neitzert wies auf die Tatsache hin, dass die Flora Europas keineswegs üppig ist, weil die europäischen Gebirgszüge der Alpen und Pyrenäen nach der Eiszeit eine Rückkehr der Arten verhinderten. So war Platz für Neusiedler entstanden. Die meisten Neophyten gehören zur Ruderalflora. Sie besiedeln Straßenränder, Brachen und alte Fabrikgelände. Diese Lebensräume sind für unsere Pflanzen zu karg, Neophyten springen als Lückenbüßer ein. In den Forst schaffen sie es selten, vor allem dann, wenn dort bereits eine ökologische Wunde vorliegt.

Nach 1945 boten die Ruinen der Großstädte eine Lebenschance für Fremdlinge. So kamen der Chinesische Götterbaum und die Robinie nach Europa. Heute gelten die Großstädte als artenreichste Biotope. Die Römer importierten einst vor allem Essbares. In den Weinbergen siedelte sich Mitkraut an. Auch die Ritter brachten von den Kreuzzügen exotische Pflanzen mit. Im Barock war es Mode, imposante Pflanzen und Tiere in Orangerien und Fasanerien zu kultivieren. Nachtkerzen und Kanadische Goldruten kamen in dieser Epoche in die Gärten. Die Bourgeoisie kopierte erst den Barockstil, entwickelte aber bald eigene Ideen: englische Landschaftsgärten entstanden. Aus den berühmten „Royal Botanic Gardens of Kew“ fanden zahlreiche Ausbrecher ihren Weg in europäische Gärten und Landschaften. So auch der phototropische Riesenbärenklau. Der Song „The Return of the Giant Hogweed“ von Genesis machte unterhaltsam auf das Problem Herkulesstaude aufmerksam.

Dr. Neitzert zeigte an mehreren Beispielen auf, dass Neophyten keine Gefahr für die heimische Flora darstellen. Oft brechen Populationen plötzlich wieder ein. Der Mensch durchschaut die ökologischen Zusammenhänge nicht immer. Bisweilen tauchen Fressfeinde auf, wie der Käfer, der im Tessin eine Vorliebe für das allergene Ambrosia entwickelt. Die Natur stellt über kurz oder lang immer ein Gleichgewicht her. Deshalb lautete der Appell des Fachmanns: „Immer mit der Ruhe!“



Im zweiten Teil referierte Forstamtsleiter Uwe Hoffmann über naturschutzfachliche und forstliche Aspekte der Neophyten in Bezugnahme auf die Verbreitung im Landkreis Neuwied. Er verwies darauf einheimische Arten, die nicht nur positiv zu sehen sind, zum Beispiel Tollkirsche, Knollenblätterpilz oder die sehr invasive Buche, die ökologisch bei weitem nicht so wertvoll wie die Eiche ist.

„Was wären wir ohne Neophyten? Wir ernähren uns davon!“, gab der Forstamtsleiter zu bedenken. Anhand eines Fotos von einem Erntedank-Altar zeigte er auf, dass alle dankbar drapierten Nahrungsmittel irgendwann einmal als Neuzugang aus dem nahen oder fernen Osten und Amerika nach Europa kamen.

Eine Übersicht bewies den verschwindend geringen Teil unerwünschter Neuzugänge: Von 12.000 Gefäßpflanzen sind nur vier bis zehn im Brennpunkt des Interesses. Dabei sind nicht die Neophyten das Problem, sondern die komplexe Bewertung, weil je nach Interessenslage unterschiedliche Leute die Dinge unterschiedlich sehen. Man müsse immer die Fragen stellen: „Um welchen Lebensraum geht es? Welche Arten verdrängt die Pflanze konkret?“ Hoffmann warb für die Einsicht, dass nicht „fremd“ die Dimension ist, über die wir reden, sondern dass die Faktoren umfassend beurteilt werden. Er forderte einen runden Tisch aller Interessengruppen zum Zweck einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung. Eine zentrale Verantwortlichkeit sei zu definieren. Das Thema sei sensibel zu behandeln und der Einsatz abzuwägen. Dann jedoch gelte es alle Kräfte zu bündeln.

In der Anschließenden Diskussion kam die Sprache mehrfach auf das Aubachtal und das als „ökologische Katastrophe“ bezeichnete Indische Springkraut. Die Frage eines Zuschauers, ob er auf seiner Waldparzelle nicht-einheimische Arten anpflanzen dürfe, verwies Hoffmann auf das Bundesnaturschutzgesetz und empfahl eine Anfrage beim örtlichen Förster, ob die geplante Anpflanzung sinnvoll sei.

Sehr sinnvoll und gleichermaßen genussvoll endete der vielseitige Vortragsabend mit einem Neophytenkostproben- Buffet aus Irene Wilds „wilder Küche“, welches die kulinarische Sichtweise auf diese Einwanderer ergänzte. Gelee aus Robinienblüten, Sahnequark und Chutney mit Neophyten verfeinert, verliehen den Zuwanderern eine neue positive Qualität. htv


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