Hintersinniges „Däumchen drehen“ mit Rainer Schmidt
Im Martin-Butzer-Saal des Gymnasiums Dierdorf fand am Donnerstagabend, 28. April eine Premiere statt: Die Dierdorfer Schulen – Gutenberg-Grundschule, Nelson Mandela Realschule plus und Martin-Butzer-Gymnasium - luden erstmalig gemeinsam zu einem Eltern-Kabarett-Abend mit dem bundesweit bekannten Kabarettisten Rainer Schmidt ein.
Dierdorf. Die Schulleiter der drei Schulen freuten sich über eine sehr aktive Elternschaft, die durch zahlreiches Erscheinen den Saal fast füllte und über den Künstler des Abends mit theologisch-pädagogischer Inklusionsmission. Schmidt, der „als Totalschaden zur Welt gekommen“ ist und mehrfacher Paralympics-Sieger und Weltmeister im Tischtennis war, bot eine sehr unterhaltsame Mischung aus erlebnisbezogenem Kabarett und inklusiven Schulgeschichten. Als evangelischer Pfarrer dürfe er nicht lügen, aber als rheinischer Pfarrer habe er poetische Freiheiten, schickte er voraus. Sein Credo lautete: „Ich bin froh, dass ich nicht so normal aussehe wie mein Publikum, denn jeden Tag passiert etwas Lustiges!“ Das begann bereits bei seiner Geburt im Februar 1965 im Sauerland, als seine Großmutter durch vielfaches Teilen der Nachricht vom Enkelsohn ohne Arme in einer Nacht Facebook erfand. Sie machte sich Sorgen um die Zukunft des Kindes. Wie sollte der Junge alleine essen und später einen Beruf erlernen? Sie konstatierte: „Handwerker wird der nicht!“ Zum evangelischen Pfarrer hat’s gereicht. Schließlich auch zu einer Vollzeit-Bühnenkarriere, denn Schmidt bringt seine außergewöhnlichen Lebenserfahrungen so lustig zu Gehör, dass die Zuhörer ganz fasziniert sind von dem lebhaften Mann mit den „schönen blauen Augen und dem schönen blonden Haar.“
Das Haar ist zwischenzeitlich ergraut. Schmidt, der viele Jahre Dozent am pädagogisch-theologischen Institut in Bonn war, analysierte das Phänomen der Behinderung als Verunsicherung. Wie soll man einem Menschen ohne Unterarme die Hand geben? Das Anderssein bildet eine Barriere in allen Köpfen, bei Behinderten und Nichtbehinderten. Um die Verunsicherung des Gegenübers in Irritation umzuwandeln, hat der Kabarettist Strategien entwickelt: Er redet drauflos, trägt Fingerhandschuhe und füllt die Fingerlinge mit Bockwürstchen.
Die Schulkarriere wurde dem Jungen Rainer Schmidt möglich, weil der Schulleiter des Gymnasiums die richtige Frage stellte: „Was müssen wir tun, dass Sie bei uns Abitur machen können?“ Schmidt fordert: Die Schule muss sich verändern, damit alle Kinder mitmachen können, denn Behinderung lässt sich nicht ändern. Inklusive Schulen erlauben ihren Lehrern drei Monate Kennenlernphase. Die Kinder müssen selber Wege finden, die Lehrer machen das Unterrichts-Setting. Vielfalt muss angeboten und zugelassen werden. Individuelle Lernfortschritte müssen honoriert werden. Die homogene Lerngruppe ist Illusion. „Die Kinder sind einfach da und lernen am gemeinsamen Gegenstand unterschiedlich.“ Inklusion ist die Kunst des Zusammenlebens von ganz verschiedenen Menschen.
Die Definition für „Mensch mit Behinderung“ lautet: Er kann nicht alles, was andere so können. „Zum Beispiel den Mittelfinger zeigen!“, nannte eine Zuschauerin. Wichtig seien Strategien, damit man mit seinen Einschränkungen ein gutes Leben führen könne. Schmidts Strategien sind 1. Hilfsmittel, die passen müssen. „Das wichtigste Hilfsmittel sind Hilfsmenschen.“ 2. Kompensieren: zum Beispiel mit einem extrem tastsensiblen Hinterteil statt Fingerkuppen. 3. Lebensqualität steigern durch eigene Grenzen. Dazu erzählte Schmidt einige lustige Begebenheiten aus seinen zahlreichen Fahrten im ICE oder wie er durch seine Behinderung im Hotel Sonderservice genießt.
Besonders viele Lacher erntete der Künstler für seine kurze Zugabe mit seinem „kleinen runden saftigen Däumchen“, das ihn zum „besten Liebhaber der Stadt Bonn“ macht. Er zitierte eine Seminarteilnehmerin mit der wichtigsten Erkenntnis: „Ein Mensch ohne Macke ist Kacke!“ htv
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