Buchtipp: „Der Käse-Sturm“ von Andreas Tietjen
Von Helmi Tischler-Venter
Protagonist Peter Loetsch, Astronom, talentfreier Einmal-Bestsellerautor, verarmt, geschieden und einsam, trifft seinen Studienfreund Ferdinand Rauterberg wieder und wird von diesem in die frühmorgendliche Runde im Hamburger Großmarkt eingeführt, deren Mittelpunkt der beleibte Käse-Affineur Maximilian Sturm bildet.
Dierdorf/Karlsruhe. Der Prolog startet mit der Beerdigung des dicken Käsehändlers, bei der der gesamte Markthallen-Freundeskreis zugegen ist. Neben Loetsch sind das der hagere, immer elegant gekleidete Ferdinand, der ein brillanter Rhetoriker und hundsgemeiner Zyniker ist, Sturms Angestellten-Paar Rolf und Sü-Sü, der mit französischem Akzent sprechende großzügige Weinhändler Raoul Wiesmüller, der italienische Spezialitätenhändler Flavio Pinifarina mit Frau, der demente Feinkosthändler a.D. Siegfried Verheer, die korpulente Baroness Ursula von Trichi mit Federboa und Möpsen, der Unternehmer Werner Seifers, der großzügig die täglichen Einkäufe seiner Ehefrau finanziert und ein paar andere skurrile Gestalten.
Die Typen sind so schrullig, dass man zunächst an eine Komödie denkt. Aber es wird auch schnell klar, dass jeder den Großmarkt als Bühne zur Selbstdarstellung nutzt und dabei eine Maske trägt, die im Verlauf der Geschehnisse abgenommen wird, sodass eine kleine Commedia dell’arte entsteht. Dekadenz, Intrigen, Eifersüchteleien und Sticheleien bestimmen deren nächtlichen Reigen. Die Geräusche der Gabelstapler, Plattenwagen und Händlerstimmen bilden die Hintergrundmusik für die umeinander kreiselnden Figuren der Hamburger Bohème.
Die finanzielle Situation des Autors mit Schreibblockade wird immer katastrophaler, erschwert durch den Umstand, dass sein Sohn Dennis arbeitslos und abgebrannt bei ihm auftaucht, weil ihn seine Ehefrau und Mutter seiner drei Kinder ebenso wie sein Chef, mit dessen Tochter er die Gattin betrogen hat, rausgeworfen hat.
Dafür lernt Loetsch einen begnadeten Koch in einer Kiezkneipe kennen und freundet sich mit Marktleiter Detering an. Es gibt Wandlungen, Innovationen, kreative Aktionen und unerwartete Wendungen. Die Markthallen-Parallelwelt der unkonventionellen Freundschaften zerbricht. Da nicht jeder ein oberflächlicher Schnorrer ist, erweist sich Empathie als Lebensretter und Erfolgsgarant.
Andreas Tietjen gelingt es immer wieder, Spannung aufzubauen und zwischen den Zeilen lesen zu lassen.
Der Roman ist als Taschenbuch erschienen bei „Der kleine Buchverlag“, ISBN 978-3-7650-9112-4. (htv)
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