Leserbrief zu „Potenziale von jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“
LESERMEINUNG | Über „Erfolge von Migranten und die Verkennung ihrer Potenziale“ sprach Professor Hacı-Halil Uslucan in der vergangenen Woche bei einem Vortrag im Bendorfer Rathaus. Hierzu schreibt unser Leser Kowallek den nachstehenden Leserbrief:
Bendorf. „Der Vortrag von Professor Hacı-Halil Uslucan hätte auf jeden Fall ein noch größeres Publikum verdient beziehungsweise sollte dieser Referent auch in anderen Kontexten mit größerer Breitenwirkung eingeladen werden, bedeutete sein Vortrag doch einen überzeugenden Perspektivwechsel weg vom AfD-affinen Zusammenhang Migrationshintergrund und Kriminalität hin zum Problematisieren der Verkennung von Potenzialen bei Kindern türkisch-arabischer Abstammung, was er stringent durch einen Einblick in Ergebnisse der empirischen Psychologie überzeugend untermauerte.
Zum Teil sind diese Ergebnisse ja auch vollkommen naheliegend wie der Pygmalion-Effekt. Die vorweggenommene Einschätzung eines Schülers wirkt sich dergestalt auf dessen Leistungen aus, dass sie sich bestätigt. Wenn man jemanden für dumm hält, bemüht man sich nämlich nicht um ihn, fragt auch nicht nach, wie eine ungewöhnliche Antwort entstanden ist. Dazu brachte der Referent etwa das Beispiel, dass ein Junge mit Migrationshintergrund auf die Frage, wie lange man für einen Purzelbaum brauche, geantwortet habe: eine Stunde.
Auf Nachfrage habe es sich herausgestellt, dass der Junge das Wort „Purzelbaum“ nicht gekannt habe, sich jedoch vorgestellt habe, es könnte eine Stunde dauern, bis man einen Baum gefällt habe. Als Beispiel für Verkennung berichtete er ja auch von einem Jungen, der eine sehr elaborierte Sprachverwendung in der Muttersprache hatte, aber nur ein rudimentäres Deutsch sprach. Auf der anderen Seite ist es naheliegend, dass ein Lehrer sich bei einem Schüler, den er eigentlich für gut hält, um intensive Interaktion bemüht und diesen fördert, wenn er schwächelt.
Der Referent selbst hatte ja das Glück gehabt, in Berlin zur Schule zu gehen, wo eine Spreizung der weiteren schulischen Karriere erst nach sechs Jahren erfolgt, sodass er zwei Jahre mehr Zeit gehabt habe, sich in der deutschen Sprache einzufinden und dann mit Erfolg auf einem Gymnasium das Abitur zu machen. Wäre er in unserem Bundesland zur Schule gegangen, hätten wir auf diesen großartigen Vortrag wohl verzichten müssen, weil der Referent mit einer höheren Wahrscheinlichkeit nicht die Möglichkeit gehabt hätte, sein Potenzial auszuschöpfen.“
Siegfried Kowallek, Neuwied
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