Buchtipp: „Haferbrei und Hellebarde“ von Werner Meyer
Von Helmi Tischler-Venter
Untertitel: „Leben im Mittelalter zwischen Alltag und Krieg“. Das Buch wendet sich an den Geschichtsfreund, der sich in diese uns fremd gewordene Welt zurückversetzen möchte. Das Mittelalter wird im Rückblick so bezeichnet als Zeitraum zwischen der Antike und der Neuzeit, also zwischen dem sechsten und dem sechzehnten Jahrhundert.
Dierdorf/Oppenheim. In einem reich bebilderten und durch Quellentexte ergänzten Kompendium steigt der Autor in die Materie ein mit der Gegenüberstellung von Wildnis und Wohnlichkeit. Die Naturlandschaft mit vielen Wäldern und Sümpfen wurde durch Landesausbau erschlossen. Holz bildete dabei einen Werkstoff von ungeheurer Vielseitigkeit. Der Schutzwirkung von Wäldern und der lebensspendenden Wirkung des Wassers war man sich bewusst. So wurden im Mittelalter die Auenwälder noch nicht gerodet. Mit Fisch- und Wildbeständen wurde sorgsam umgegangen. Eine Umweltzerstörung heutigen Ausmaßes wäre gar nicht möglich gewesen.
Das Kapitel „Herrschaft und Gesellschaft“ zeigt auf, dass wirtschaftliche und politische Zentren um das Jahr 1000 die Bischofssitze, Klöster, Pfalzen, Großhöfe des Adels sowie die Vielzahl an Burgen waren. Am weitesten verbreitet war indessen das bäuerliche Dorf als Siedlungsform. Getreidebau, regional Weinbau und Viehzucht bildeten die Basis der Versorgung, daneben gab es Garten- und Obstbau.
Die Menschen waren der Witterung hilflos ausgeliefert, daher vertraute man in die Obhut Gottes und der Heiligen. Auf diesem Hintergrund entwickelte sich eine Gesellschaftsstruktur mit Herrschern, Freien und Beherrschten. Das Heilige Römische Reich hatte keine Hauptstadt, sondern die Kaiser reisten im Gebiet umher und wohnten in ihren Pfalzen. Den Untergebenen war der Schutz wichtiger als die Freiheit.
Der Klerus machte rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus und besaß Autorität. Die Macht wurde durch Adel und Ritter ausgeübt, wobei adlige Familien oft auch die höheren Kirchenämter besetzten. Das breite Volk lebte als Bauern und hatte ein hartes Leben. Handwerker und Kaufleute in den Städten schauten auf diese herab.
Das Alltagsleben (Kapitel 4) richtete sich nach dem Sonnenstand, den Jahreszeiten und den kirchlichen Feiertagen. Das Einraumhaus bot nur Schutz gegen Nässe und Kälte, keinen Komfort. Hausrat war kärglich, aber solide. Kommuniziert wurde mittels Sprache, Hand- und Körpergebärden, die teilweise heute noch existieren. Ess- und Trinksitten waren nach unseren Maßstäben derb bis unappetitlich.
Verbindliche Maßeinheiten gab es für Längen, Flächen, Volumina und Gewichte. Münzen erleichterten den Handel. Die Kindheit endete mit dem 15./16. Lebensjahr. Man erlebte den Tod als Teil des Lebens, eines gottgewollten, geschlossenen Kreislaufs.
Kapitel 5 „Das Zeitalter des Glaubens“ veranschaulicht die Allgegenwart der Kirche, die durch Glauben und Aberglauben sowie vielzählige Heilige alle Lebensbereiche beherrschte.
Das Fest als Ausnahmezustand (Kapitel 6) versetzte Dörfer, Städte und Länder in eine ausschweifende und alkohollastige Stimmung mit viel Essen, Trinken, Musik, Spiel, Tanz und Erotik. Bezeichnet ist ein Ochs am Spieß, der mit Schwein, Gans und Ente gefüllt war. Feste arteten am Ende oft in Schlägereien aus.
Kapitel 7 „Recht und Gewalt“ greift Spuren mittelalterlichen Rechtslebens auf wie Ritual und Eid, Volksjustiz, Gewohnheitsrecht und geschriebenes Recht, Gottesurteil und Zweikampf. Die Rechtsmittel waren Gerichte und Prozesse, Sühne, Strafe und Vergleich. Das Strafsystem kannte Henken, Köpfen, Buße und Verbannung. Es gab Kirchenrecht und Staatsgewalt.
„Mit Krieg und Frieden“ in Kapitel 8 enden die Gegenüberstellungen. Das Mittelalter war eine Epoche der Gewalttätigkeit. Von rücksichtslosem Mutwillen unter jugendlichen Raufbolden bis zum Krieg als Normalzustand wird berichtet. Kleinkriege, Feldzüge und Schlachten verlangten nach umfangreicher Kriegsausrüstung und Militär. Im Söldnerwesen des Mittelalters fand das freie Kriegertum seine Vollendung. Das „Reislaufen“ hat die Gewalttätigkeit zur Lebensform verfestigt. Innerhalb der Herrscher und Völker des heutigen Europas gab es immer Spannungen und gewaltsame Auseinandersetzungen, auch zwischen Kaiser und Papst.
In seiner Schlussbetrachtung über das „Finstere Mittelalter“ betont Meyer, dass man das Andersartige der Epoche nur im kulturellen Zusammenhang betrachten kann. Dann gelangt man zu der Erkenntnis, dass das moderne Europa nicht wegen, sondern trotz der mittelalterlichen Ereignisse und Zustände entstanden ist. „Unsere zivilisatorischen Annehmlichkeiten bezahlen wir mit einer zerstörten Umwelt oder die zahllosen Dienstleistungen des Staates mit hohen Steuern, so wie der Mensch des Mittelalters Seuchen und Hungersnöte für die Unverdorbenheit der Natur oder für das Fehlen einer staatlichen Ordnung ein Leben in Unsicherheit oder in persönlicher Abhängigkeit hat in Kauf nehmen müssen.“
Im Mittelalter sind grundlegende Erfindungen und Entdeckungen gemacht worden, ohne die es keine Entwicklung zur modernen Welt von heute gegeben hätte.
Im Anhang finden sich eine Liste ausgewählter Einstiegsliteratur, ein Glossar, eine ereignisgeschichtliche Zeittafel und ein Abbildungsnachweis.
Erschienen ist das 351-seitige gebundene Buch im Nünnerich-Asmus Verlag, ISBN 978-3-96176-145-6. (htv)
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