Rechtsanwaltskosten und Schmerzensgeld nach unberechtigtem Vergewaltigungsvorwurf?
Entscheidung des Monats Dezember 2021: Kann ein zu Unrecht der Vergewaltigung Beschuldigter die Anwaltskosten von der Anzeigenerstatterin ersetzt verlangen und erfolgreich Schmerzensgeld fordern? Diese Frage hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz als Berufungsgericht zu entscheiden.
Sachverhalt:
Koblenz. Die Beklagte zeigte den Kläger zunächst wegen einer angeblichen Vergewaltigung und einige Zeit später wegen einer angeblichen Bedrohung an. Der Kläger wehrte sich gegen die Vorwürfe und gab an, dass zwischen ihm und der Beklagten ausschließlich einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Die Behauptungen der Beklagten seien wahrheitswidrig. Die Polizei ermittelte daraufhin und vernahm zahlreiche Zeugen zu den Tatvorwürfen. Der Kläger beauftragte einen Verteidiger in beiden Ermittlungsverfahren. Die Ermittlungsverfahren wurden schließlich mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Seine Tätigkeit stellte der Verteidiger dem Kläger mit 1.693,73 Euro in Rechnung.
Die Entscheidung:
Die 13. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz hat dem Kläger in der Berufungsinstanz sowohl die Verteidigungskosten als auch ein Schmerzensgeld in Höhe von 200 Euro gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 186 StGB zugesprochen.
Der Vorwurf einer Vergewaltigung ist fraglos geeignet, den so Beschuldigten verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen und stellt daher eine üble Nachrede im Sinne des 186 StGB dar, so der Vorwurf nicht erweislich wahr ist. § 186 StGB bürdet demjenigen, der eine solche Tatsachenbehauptung aufstellt, den Beweis dafür auf, dass dies auch wahr ist. Diese Wertung des § 186 StGB gilt auch für den Zivilprozess, in dem es um Schadensersatz- und Schmerzensgeld-ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB wegen übler Nachrede geht. Hierdurch unterscheidet sich die üble Nachrede von der Verleumdung nach § 187 StGB, die den Beweis der Unwahrheit der Tatsachen-behauptung voraussetzt.
Allerdings führt nicht jede Strafanzeige, die mangels Tatnachweises zu keiner Verurteilung führt, zu einer Strafbarkeit wegen übler Nachrede nach § 186 StGB. Hier ist vielmehr der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB zu berücksichtigen. Solche berechtigten Interessen vermochte die Kammer bei den hiesigen Strafanzeigen jedoch nicht festzustellen. Strafanzeigen unterfallen nämlich zumindest dann nicht dem Schutz des § 193 BGB, wenn sie leichtfertig aufgestellt werden, was der Fall ist, wenn der Täter bei möglicher und zumutbarer Prüfung hätte erkennen müssen, dass die Grundlagen für seine Behauptungen unzulänglich oder unzuverlässig sind, oder dass nur auf haltlose Vermutungen hin die Ehre eines anderen gröblich angetastet wird.
Da im vorliegenden Fall nahezu alle Umstände dafürsprachen, dass die Beklagte den Kläger bewusst der Wahrheit zuwider belastet hatte, ging die Kammer nicht von der Wahrnehmung berechtigter Interessen aus. So waren hier die Ermittlungsergebnisse nicht einmal geeignet einen Anfangsverdacht, geschweige denn die viel höhere, für eine Anklageerhebung erforderliche, Verdachtsstufe des hinreichenden Tatverdachts zu begründen. Die Beklagte hatte nämlich bereits die Unrichtigkeit der angeblichen Vergewaltigung vorab gegenüber Dritten in einer Chat-Nachricht eingeräumt. Vorliegend blieb zudem die Aussage eines Angehörigen unstreitig, dass die Beklagte bereits zuvor zahlreiche andere Männer fälschlich wegen Vergewaltigung anzeigen wollte.
Daher muss die Beklagte dem Kläger die an den Strafverteidiger gezahlten Rechtsanwaltsgebühren ersetzen. Zwar wurden die strafrechtlichen Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörde eingestellt, allerdings war es angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe durchaus sachgerecht, dass sich der Kläger bereits im Ermittlungsverfahren durch einen Verteidiger fachkundig beraten gegen die Vorwürfe gewehrt hat. Dies gilt nicht nur für den ganz erheblichen Vorwurf der Vergewaltigung, sondern auch für den knapp zwei Monate später erhobenen weiteren Vorwurf der Bedrohung, da ein Zusammenhang zwischen den beiden Verfahren naheliegend war. Es war aus Sicht des Gerichts angesichts des erheblichen Vorwurfs auch nichts dagegen einzuwenden, dass der Verteidiger höhere Gebühren als die Mittelgebühren abgerechnet hat.
Hieran ändert es auch nichts, dass der Verteidiger keinen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger gestellt hat. Zwar wäre ein Pflichtverteidiger von der Staatskasse zu bezahlen gewesen, sodass der fehlende Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers mitkausal für den Schaden des Klägers war, allerdings war das Verhalten der Beklagten ebenfalls kausal für den Schaden des Klägers. Da im Schadensersatzrecht in besonderem Maße auch Billigkeitsaspekte zu berücksichtigen sind, um unzumutbare Benachteiligungen des Geschädigten und auch entsprechende Privilegierungen des Schädigers zu verhindern, wäre diese staatliche Leistung in Form der Pflichtverteidigergebühren nicht zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, um einen Regress gegen sie als Letztverantwortliche zu ermöglichen.
Auch einen Schmerzensgeldanspruch sah die Berufungskammer im Hinblick auf die Verbreitung der schwerwiegenden Vorwürfe im Freundes- und Bekanntenkreis als gerechtfertigt an. Die Höhe des erstinstanzlich ausgeurteilten Schmerzensgelds von 200 Euro wurde seitens des Klägers im Rahmen der Berufung nicht angegriffen, sodass die Höhe des Schmerzensgelds für das Berufungsverfahren feststand.
Urteil vom 17. November 2021 – Az 13 S 25/21 (rechtskräftig)
Auszug aus dem bürgerlichen Gesetzbuch:
823 Schadensersatzpflicht
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Auszug aus dem Strafgesetzbuch:
§ 186 Üble Nachrede
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 193 Wahrnehmung berechtigter Interessen
Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen oder Tathandlungen nach § 192a, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen vorgenommen werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.