Europäischer Salon in der "Villa Weingärtner": Ukrainekrieg im Fokus
Aus aktuellen Anlass hatte die Villa Weingärtner in Unkel-Scheuren den zusätzlichen Abend des "Europäischen Salons" ins Programm gehoben. Ernst-Jörg von Studnitz, von 1995 bis 2002 deutscher Botschafter in Moskau, unterhielt sich mit Volodymyr Perepadya, einem ukrainischen Germanisten, Journalisten und Historiker, der seit 2014 in Bad Honnef lebt.
Unkel. Vier Tage nach Kriegsbeginn hatte von Studnitz am 28. Februar seinen "Orden der Freundschaft der Russischen Föderation" zurückgegeben, was vom Publikum mit Beifall quittiert wurde. Er wolle "mit einem ruchlosen Zerstörer des europäischen Friedens in keiner Weise verbunden sein", so die Begründung des erfahrenen Diplomaten. Von Studnitz war viele Jahre Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums und Mitglied im Lenkungsausschuss des deutsch-russischen Petersburger Dialogs.
Auf die Frage von Moderatorin Daniela Weingärtner, ob man hätte wissen können, was der einsame Mann im Kreml plante, antwortete er: "Ich bin jetzt zu dem Schluss gekommen, allerdings relativ spät erst, dass Putin das, was er jetzt durchführt, schon seit Jahren vorhat". Putins Ziel sei es, womöglich schon seit Amtsbeginn oder früher, Russland in den Grenzen des alten Sowjetreiches wiedererstehen zu lassen.
Das glaubt auch Perepadya. Über Wolodymyr Selenskijs Wahl zum Staatspräsidenten war er zunächst nicht glücklich, hat aber seine Meinung mittlerweile revidiert. "Herr Selenskij konnte uns alle überzeugen, dass er für diese Zeitspanne die richtige Person ist. Ein tapferer Mann. Er kann die Frontlinie halten". Dem stimmt von Studnitz zu. "Er ist weit mehr als jemand, der früher mal ein Schauspieler war. Darüber ist er weit hinausgewachsen. Ob er auch ein Friedenspräsident sein kann, ist eine ganz andere Frage – denken Sie nur an Churchill, der nach dem Krieg von seinen Landsleuten abgewählt wurde".
Uneinigkeit bei westlichen Ländern über Ziele
Nach großer Einigkeit zu Beginn, unter dem ersten Schock, scheint es nun bei den westlichen Partnern zwei Flügel zu geben, was die Kriegsziele angeht. Großbritannien, die Balten und Osteuropa möchten die Ukraine so wirksam wie möglich militärisch unterstützen. Sie sagen, während es an der Front so gut läuft, sollte die Regierung keinesfalls Zugeständnisse an Putin machen, die ihn ermutigen könnten, morgen über eine Invasion in Moldau, Georgien oder gar Litauen nachzudenken. Die andere Seite – vor allem Frankreich und Deutschland – wollen den Krieg möglichst rasch beenden und dafür auch Gebietskonzessionen in Kauf nehmen.
Dazu von Studnitz: "Ich glaube es ist die Stunde gekommen, wo der Westen die Ukraine mit schweren Waffen unterstützen muss. Am Boden, in der Luft und über See". Auf Nachfrage, ob das auch bedeuten könne, dass ukrainische Piloten von einem polnischen Flugplatz aus ins Kriegsgebiet aufsteigen und damit die NATO sehr nah ans unmittelbare Kriegsgeschehen heranrückt, relativierte er: "Eine andere Variante wären höher reichende Flugabwehrgeschütze. Die braucht die Ukraine unbedingt. Und ich vermute die Amerikaner sind an dem Punkt, die jetzt zu liefern. Und wenn überdies noch schwere Waffen am Boden, also gepanzerte Artillerie, zur Verfügung steht, dann ist keineswegs ausgeschlossen, dass die offensichtlich von Russland geplante Offensive im Osten der Ukraine auch schiefgeht".
Harte Sanktionen hält der Exbotschafter für unumgänglich – selbst wenn sie erst mittelfristig Wirkung zeigen. Sie könnten, so seine Überzeugung, die Unzufriedenheit in Russland so weit steigern, dass der aus seiner Sicht "unumgänglich notwendige Putsch" gegen Putin dadurch angefacht werden könnte. Sein Kollege Dirk Brengelmann, bis vor kurzem deutscher Botschafter in Den Haag, schloss die Frage an, die derzeit die deutsche Öffentlichkeit umtreibt wie keine andere: Könnte Putin sich so in die Enge getrieben fühlen, dass er zum letzten Mittel greift und Atomwaffen gegen die Ukraine oder gar die NATO zum Einsatz bringt?
Von Studnitz: "Man muss davon ausgehen, dass, wenn es einen Angriff der NATO auf russisches Territorium geben würde, die Russen nicht zögern würden, Nuklearwaffen einzusetzen". Dieses Szenario sei aber so gut wie ausgeschlossen. Ob aber Russland bereit sei, zu chemischen oder Atomwaffen zu greifen, wenn die Offensive im Osten der Ukraine scheitern sollte – das vermöge niemand voraus zu sagen.
Volodymyr Perepadya wurde gefragt, wie seine ukrainischen Landsleute Deutschlands Rolle in dem Konflikt bewerteten und was sie von Deutschland erwarteten. Die Antwort: "Die deutsche Hilfe besteht ja nicht nur aus Waffenlieferungen. Die finanzielle Unterstützung für die ukrainische Regierung ist enorm. Das dringt aber zu den Menschen in der Ukraine nicht hundertprozentig durch. Einige Elemente der deutschen Lieferungspolitik sorgten für geradezu tragikkomische Effekte – zum Beispiel die Zusage, 5000 Schutzhelme zu liefern".
Nach 90 intensiven Minuten wurde die Debatte in informeller Runde noch lange fortgesetzt. Wer sich für die "Europäischen Salons" interessiert und künftig das Programm erhalten möchte, kann sich unter info@villa-weingaertner.de auf den Einladungsverteiler setzen lassen. (PM)
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