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Nachricht vom 10.11.2022    

Zahlreiche Menschen kamen zum Gedenken der Pogromnacht in Neuwied zusammen

Der Deutsch-Israelische Freundeskreis Neuwied hatte zum Gedenken an die schrecklichen Geschehnisse während der "Reichspogromnacht" aufgerufen. Am Mahnmal an der einstigen Synagoge trafen sich viele Neuwieder Bürger zur Erinnerung an eine grausame Nacht vor 84 Jahren. In vielen Orten des Kreises gab es Gedenkveranstaltungen.

Pfarrer Zupp, OB Einig und Dr. Rieß legten einen Kranz nieder. (Foto: Jürgen Grab)

Neuwied. Hunderte Jüdinnen und Juden wurden während der Pogrome in Deutschland am 9. November 1938 ermordet oder misshandelt, über 30.000 Menschen wurden in Konzentrationslager eingeliefert. Die Bevölkerung sah zu oder auch weg. Nur wenige halfen ihren jüdischen Nachbarn.

Die Novemberpogrome bildeten den Ausgangspunkt bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung, die schließlich in den Holocaust mündete. Beim größten Völkermord der Geschichte wurden rund sechs Millionen Juden ermordet. Ihrer zu gedenken, ist der Bundesregierung und den diversen örtlichen Initiativen ein besonders hehres Anliegen. So auch in Neuwied an der Gedenkstätte in der Synagogengasse, wo sich auf Einladung des Deutsch-Israelischen Freundeskreises (DIF) etwa 150 Frauen, Männer und zahlreiche Jugendliche des Werner-Heisenberg-Gymnasiums (WHG) und der Löwenherz-Gesamtschule eingefunden hatten, um der ermordeten und vermissten ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern von Neuwied in Ehrfurcht zu gedenken.

"Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 gehört zu den schlimmsten und beschämendsten Momenten der deutschen Geschichte. Auch in Neuwied brachte diese Nacht bereits 1938 zum Vorschein, was die Nationalsozialisten hinsichtlich der Judenverfolgung planten. Im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte, war diese Nacht nur ein Vorbote des bevorstehenden grausamen Geschehens. Doch waren die Ereignisse dieser Nacht und der nachfolgenden Tage ein Schlag ins Gesicht der Humanität, der Zivilisation und der Menschlichkeit", betonte der evangelische Pfarrer und Vorsitzende des Neuwieder Deutsch-Israelischen Freundeskreises. Werner Zupp, der an diesem Mittwochvormittag auf dem Platz am Synagogen-Denkmal unterem anderen die beiden Fürstinnen zu Wied, den vormaligen Kantor der Jüdischen Gemeinde, Dr. Jürgen Rieß, den Ehrenvorsitzenden des DIF, Dieter Melsbach, Oberbürgermeister Jan Einig, den Landrat Achim Hallerbach sowie die Beigeordneten Mahlert und Seemann ebenso begrüßte wie die Beauftragte der Landesregierung für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen Monika Fuhr. Zudem waren einige Repräsentanten der örtlichen Kirchengemeinden sowie Schüler des WHG und der Integrativen Gesamtschule zum Kundgebungsplatz gekommen. Dabei haben sich etliche Jungen und Mädchen vom WGH gemeinsam mit ihrem Religionslehrer Jörg Eckert an umfangreiche Recherchearbeiten herangewagt und die Lebensläufe einiger vormaliger Neuwieder Bürger, Familien und Kinder aufgeschrieben, deren Lebensschicksal zumeist abrupt endete, weil deren Tod auf schreckliche Weise im Konzentrationslager zustande kam.

Pfarrer Werner Zupp dankte dem Lehrer und den jungen Menschen für deren nachhaltig-nachforschende Tätigkeit, wobei der evangelische Pfarrer auch auf die vielen "Stolpersteine" hinwies, die vor den Häusern der ehemals dort lebenden jüdischen Mitbürger angebracht worden sind. Mit Bedauern wies Zupp darauf hin, dass inzwischen eine öffentliche Diskussion insofern immer lauter und die Frage gestellt werde, ob denn nach so langer Zeit ein Erinnern und Gedenken noch notwendig und ob das Gedenken nicht inzwischen nur mehr ritualisiert und damit inhaltsleer geworden sei? "Darauf kann ich nur antworten: Keine Gemeinschaft, keine Gesellschaft und auch kein Staat kann ohne Gedächtnis und ohne Erinnerung leben. Ohne diese Eigenschaften leben zu wollen, bedeutet nämlich, ohne Identität und damit ohne Orientierung zu leben. Wenn wir nicht blind in die Zukunft gehen, sondern positive Ziele und Maßstäbe verwirklichen wollen, dann müssen wir wissen, woher wir kommen, wer wir sind und wozu wir fähig sind", betonte der Vorsitzende des Deutsch-Israelischen Freundeskreises und erklärte ausdrücklich: "Auch Erinnerungen an schlimme Zeiten müssen weitergegeben werden. Um der Opfer, aber auch um unser selbst willen, ist dies notwendig. Wer aufrichtig sein will, muss sich seiner ganzen Geschichte stellen, einer Geschichte, die im Guten wie im Bösen die Identität eines Volkes ausmacht."



Oberbürgermeister Jan Einig verwies auf die Selbstverpflichtung des DIF und der Stadt, sich dort am Synagogen-Denkmal an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu erinnern. "Gemeinsam mit dem DIF und einer Vielzahl Neuwieder Bürgerinnen und Bürger gedenken wir hier am Synagogen-Mahnmal der schlimmen Ereignisse in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938." Einig verwies auf jene Nacht, in der für alle sichtbar der folgenschwere Angriff des Nazi-Regimes auf die Humanität und Zivilisation in deutschen Landen realisiert wurde: "Die brennenden Synagogen (ihre Zahl wird auf nahezu 1.500 geschätzt) wurden zu einem Symbol der Abkehr von Werten der Menschlichkeit, zu einem Symbol des Zivilisationsbruchs, der schließlich zum Mord an sechs Millionen Juden führte", sagte der Oberbürgermeister. In seiner Ansprache wies er darauf hin, dass es auch hier in Neuwied, in dieser einst auf Freiheit und Toleranz aufgebauten Stadt am Rhein, sowohl hasserfüllte Täter als auch willenlose Mitläufer gab, die dem schrecklichen Treiben der Nazis tatenlos zusahen. "Auch in der Deichstadt wurde die Synagoge geschändet und in Teilen zerstört. Unter den Augen vieler Bürger wurden jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert. Auch hier gab es die Bereitschaft, jüdische Mitbürger zu demütigen, zu misshandeln und sogar zu töten. Diese schlimme Nacht der Pogrome bildete zweifellos den Beginn des Untergangs der einst 400 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde in Neuwied und das grausame Ende eines vormals friedlichen Zusammenlebens der Neuwieder Bürgerinnen und Bürgern", wusste Oberbürgermeister Jan Einig zu berichten.

Am Mahnmal hat der frühere jüdische Kantor Dr. Jürgen Rieß etliche Texte auf Hebräisch und in deutscher Übersetzung vorgetragen. Dies waren ein Gedicht von Dan Pagis (Israelischer Lyriker, 1930-1986): "Mit Bleistift geschrieben auf den verplombten Waggon…" und eine kurze Auslegung des Gedichtes von Rabbinerin Eveline Gutmann-Tau (Israel, Wien). Des Weiteren rezitierte Dr. Rieß aus Werken von Jizchak Katzenelson (1886-1944 ermordet in Auschwitz), einem Freund von Janusz Korczak im Warschauer Ghetto: "Das Lied vom ausgerotteten jüdischen Volk" sowie das zentrale Totengebet für die Opfer der Schoah "Herr voller Erbarmen" waren weitere dargebotene Texte.

Zum Schluss sprach Dr. Rieß, der seit fast 20 Jahren diesen Schlussteil der Neuwieder Gedenkfeier gestaltet, drei Bitten aus dem jüdischen 18-Bittengebet. (jüg)


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