Pressemitteilung vom 30.11.2022
„Parlament des Handwerks“ tagte in Koblenz
Vollversammlung der Handwerkskammer Koblenz (HwK): Handwerk zeigt sich bislang krisenfest. Ministerin Daniela Schmitt stellt Ansehen der dualen Ausbildung in den Mittelpunkt einer kämpferischen Rede.
Koblenz. "Ein Krieg mitten in Europa, damit verbundene Umstellungen und drastische Preiserhöhungen am Energiemarkt, eine galoppierende Inflation, die immer noch gestörten Lieferketten und suboptimalen Verfügbarkeiten von Materialien, weiterhin deutlich spürbare Auswirkungen der Corona-Pandemie wie auch der Fachkräftemangel greifen massiv in unser Leben und unsere Wirtschaft ein – was dem Handwerk große Sorgen bereitet“, stellte Kurt Krautscheid als Präsident der Handwerkskammer (HwK) Koblenz zu Beginn der Vollversammlung heraus. "Und gerade weil das Handwerk gemeinhin nicht für Schwarzmalerei bekannt ist, sollten alle unsere daraus resultierenden Sorgen ernst nehmen! Dass wir heute auch über einen Krieg in Europa sprechen müssen, ist in diesen Zeiten eine schier unfassbare Tatsache. Das schien überwunden und als Variante von Interessensdurchsetzung eines Landes gegen ein anderes völlig ausgeschlossen.“
Das "Parlament des Handwerks“ im nördlichen Rheinland-Pfalz tritt einmal jährlich zusammen, 2022 erstmals in den Kongressräumen des Mensaneubaus am HwK-Standort August-Horch-Straße. Die Vollversammlung ist das oberste Selbstverwaltungsorgan der HwK und besteht aus 48 gewählten Mitgliedern. Zwei Drittel sind Arbeitgeber, ein Drittel gehört dem Arbeitnehmerflügel an. Gemeinsam werden wichtige Entscheidungen für die insgesamt 21.400 Handwerksbetriebe im Kammerbezirk getroffen. "Dass die Zahl der Betriebe in der aktuellen wirtschaftlichen wie geopolitischen Krise im Jahresverlauf gestiegen ist, spricht für die Wirtschaftskraft des Handwerks! Wir sind bislang weniger betroffen als die Gesamtwirtschaft durch diese Krise gekommen.“ Krautscheid wies aber auch darauf hin, dass sich die Einschätzung zur aktuellen Geschäftslage gerade im Herbst deutlich abgekühlt hat. Problematisch erweise sich dabei das Fehlen einer verlässlichen Aussage zur weiteren Entwicklung. "Für das nächste Quartal erwarten 59 Prozent der befragten Betriebe, dass sich die Geschäftslage verbessert oder zumindest gleich bleibt. Das ist ein Rückgang von 30 Prozent.“
Besonders betroffen sind die energieintensiven Branchen, so die Nahrungsmittelhandwerke Bäcker, Fleischer und Konditoren. "Zumal mit der einhergehenden Inflation die Kaufkraft der Verbraucher sinkt und unsere Nahrungsmittelhandwerker in Konkurrenz mit den Supermarktangeboten stehen. Wir spüren in dieser Situation leider auch, wie wichtig Nachhaltigkeit beim Lebensmitteleinkauf und die Unterstützung regionaler, handwerklicher Anbieter in einer Krise beim Blick in die Brieftasche der Konsumenten tatsächlich sind. Das kann man den Menschen noch nicht einmal zum Vorwurf machen. Da steigende Nebenkosten in den Haushalten dazu kommen, schauen wir auf eine Kettenreaktion.“
"Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sind gute Stichworte in dieser Krise. Denn die Klimakrise ist ja nicht weg, sondern momentan in der Wahrnehmung nur noch zweit- oder drittrangig. Auch hier ist das Handwerk ein gefragter Ansprechpartner, denn ohne unsere Fachbetriebe wird die Energiewende nicht umzusetzen sein. Darauf waren und sind wir gut vorbereitet, müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich vieles nicht realisieren lässt – Stichwort Lieferfähigkeit entsprechender Systeme – oder umgesetzt werden kann – Stichwort abflauende private Kaufkraft.“ Insofern werde auch für die Gewerke der Klimawende – entgegen aller bisherigen Prognosen – eine Konjunkturdelle erwartet.
Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt: Ansehen der Ausbildung muss deutlich verbessert werden
Daniela Schmitt als rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin griff diese Gedanken auf und lobte in einer kämpferischen Rede das Handwerk als verlässliche und stabile Säule der Wirtschaft. Ein enger, vertrauensvoller Schulterschluss sei gerade in Krisenzeiten wichtig für die erfolgreiche Bewältigung. Bei den Maßnahmen sei aber eine Differenzierung "hier müsse die Politik helfen, da solle sie sich zurückhalten“ wenig hilfreich. "Wir schaffen das nur als Solidargemeinschaft. Und wir werden alle Kompromisse eingehen müssen!“
Die Landesregierung setze sich intensiv im Sinne des Mittelstandes auf Bundesebene ein, auch bei der Abfederung der Auswirkungen steigender Energiepreise. "Wir haben in Berlin deutlich gefordert, bei den Entlastungsmaßnahmen nicht nur an energieintensive Industrieunternehmen zu denken, sondern gerade an den Mittelstand und das Handwerk. Denn wir nehmen die Sorgen des Handwerks sehr ernst, auch beim Thema Fachkräftesicherung. Es geht nach wie vor darum, das Image des Handwerks zu korrigieren.“ Das Studium werde in der öffentlichen Wahrnehmung im Vergleich zur dualen Ausbildung immer noch deutlich favorisiert. Was zu Lasten der Fachkräftesituation in der Wirtschaft geht. "Wenn ich höre, wie Oma oder Opa dann sagen: Der Bub geht ja nur ins Handwerk – da schwillt mir der Kamm! Wir müssen die Gleichwertigkeit von Studium und Ausbildung in die Köpfe bringen.“ Auf die Unterstützung der Landesregierung könne sich das Handwerk dabei verlassen.
Vizepräsident Joachim Noll spricht sich als Arbeitnehmervertreter für kostenloses Lehrlings-Ticket aus
Joachim Noll, Arbeitnehmer-Vizepräsident der HwK, machte sich stark für verbesserte verkehrspolitische Rahmenbedingungen im Sinne der Jugendlichen, die sich für eine Ausbildung interessieren. "Wir fordern seit langem ein Jobticket für Lehrlinge. Das bundesweite 49-Euro-Ticket ist dabei ein wichtiger und richtiger Ansatz und ich fordere die Politik wie auch die Ausbildungsbetriebe auf, diese Kosten – auch im Sinne der Fachkräftesicherung! – für unsere Lehrlinge zu übernehmen. Letztlich aber macht auch dieses Ticket nur Sinn, wenn die Angebote des ÖPNV verbessert und ausgebaut werden.“ Noll richtete einen Appell an Ministerin Schmitt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass das Lehrlings-Ticket ein Erfolgsmodell wird und nicht wegen geringer Nachfrage wieder eingestellt werden muss.
Mit Blick auf die zähen Verhandlungen auch im Kfz-Gewerbe forderte Noll flächendeckende Tarifverträge für das Handwerk, die ein wesentliches Instrument zur Bekämpfung des akuten Fachkräftemangels seien. "Auch die Arbeitgeber gewinnen aus meiner Sicht langfristig dadurch. Verlässlichkeit und Planbarkeit ist das, was sie gewinnen sowie einen hohen Qualitätsstandard, der die Kundenbindung garantiert. Gute Arbeitsbedingungen, angemessene und faire Löhne sind Garanten für nachhaltiges Unternehmertum.“
Fachkräftesicherung: Ausbildungszahlen sind stabil, insgesamt aber zu niedrig
Die Fachkräftesicherung ist und bleibt die große Herausforderung für das Handwerk. "Beim Blick auf die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge wurde der Pandemieknick 2020 von über acht Prozent im letzten Jahr nur um ein Prozent korrigiert. Aktuell liegen wir 1,3 Prozent unter den Zahlen von 2021, also faktisch unter dem Wert des Corona-Jahres 2020. Das ist absolut alarmierend“, fasste Krautscheid die Lage um die Nachwuchsgewinnung zusammen, ging aber auch auf die Qualität der Ausbildung im Kammerbezirk ein: "Wir können uns bisher über jeweils zwei Erst- und Zweitplatzierungen sowie drei dritte Plätze beim Praktischen Leistungswettbewerb auf Bundesebene freuen. Das sind Spitzenergebnisse beim Blick auf das Gesamthandwerk im Land und wir sind sehr stolz auf die Leistungen unserer Handwerksjugend und die Ausbildungsarbeit der Betriebe!“
Wiederaufbau des Ahrtals
Eine wichtige Aufgabe übernimmt das Handwerk auch beim Wiederaufbau des im Sommer 2021 durch die Flut zerstörten Ahrtals. Das stellten sowohl Ministerin Schmitt wie auch Vizepräsident Noll und Präsident Krautscheid in ihren Reden deutlich heraus. "Das Handwerk hat dabei eine zentrale Aufgabe und große Verantwortung übernommen. Mit Stolz und Anerkennung können wir sagen: Dieser Verantwortung sind wir gerecht geworden und gerade unsere Kolleginnen und Kollegen im Ahrtal haben fast Übermenschliches geleistet. Die Handwerkskammer Koblenz stand und steht im engen Schulterschluss mit anderen Wirtschaftsverbänden und der Politik, um hier aktiv mitzuhelfen oder die Rahmenbedingungen für eine optimale Hilfe zu gestalten“, sagte Krautscheid. Die HwK sei auch 16 Monate nach der Katastrophe noch immer personell und organisatorisch so aufgestellt, "dass wir vor Ort effektiv und intensiv unterstützen können. Unsere Mitarbeiter sind für die betroffenen Betriebe da und bieten Unterstützung – bis hin zur Beantragung der Wiederaufbauhilfen, die Ende Juni 2023 ausläuft. Ich sage es auch, weil noch immer einige Betriebe ihre Anträge nicht eingereicht haben und dies nun mit Hochdruck vorantreiben müssen. Sie haben einen Anspruch auf diese Hilfen und es wäre eine Fehlentscheidung, diese verstreichen zu lassen.“
Verwaltungsneubau „Campus Handwerk“
Kammerpräsident Krautscheid gab den Mitgliedern der Vollversammlung auch einen Überblick zum Stand des geplanten Neubaus eines Verwaltungsgebäudes und eines Parkhauses auf dem "Campus Handwerk“ im Umfeld des Veranstaltungsortes. "Natürlich haben auch wir als Bauherr mit den Unwägbarkeiten zu kämpfen, die sich aus stetig steigenden Materialpreisen, Lieferengpässen, sich ändernden Anforderungen an die energetische Gebäudeversorgung und an nachhaltige Konzeptionen im Bau- und Ausbaubereich ergeben. Selbstverständlich wird auch diese Investition in den Standort August-Horch-Straße bei jedem Planungsschritt sehr kritisch unter die Lupe genommen, damit die der Kammer anvertrauten Finanzmittel effektiv und sparsam eingesetzt werden. Insofern haben wir entschieden, das Projekt in zwei Bauabschnitte aufzuteilen und den Bau eines dritten Gebäudes, das wir später gerne für Übernachtungsmöglichkeiten für Teilnehmer unserer Maßnahmen nutzen möchten, zurückzustellen. Das, was nun entstehen wird, wird als Ganzes noch moderner und zukunftsorientierter, als ursprünglich geplant.“ (PM)
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