Gesprächsabend in Neuwied benennt Risikofaktoren des geistlichen Missbrauchs
Die Ausmaße sexualisierter Gewalt innerhalb der katholischen Kirche sind immer noch nicht abschließend zu beziffern. "Geistlicher Missbrauch" wurde bislang noch seltener betrachtet; ein Vortrags- und Gesprächsabend mit dem Titel "Übergriff im frommen Gewand" in Neuwied wollte das nun ändern.
Neuwied. "Es ist uns wichtig, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir wollen einen Einstieg in das Thema bieten, das erst in letzter Zeit mehr Aufmerksamkeit bekam", erklärte Pastoralreferent Christoph Hof von der Arbeitsgemeinschaft "Prävention" im Pastoralen Raum Neuwied, der zusammen mit der Katholischen Erwachsenenbildung Koblenz den Abend initiiert hatte.
"Geistlicher Missbrauch ist kein neues Thema, vermutlich ist dieser so alt wie die Kirche selbst. Nur jetzt wird er mehr an die Öffentlichkeit gespült", erklärte die Referentin Stephanie Butenkemper aus Köln und sagte zugleich, dass geistlicher Missbrauch in allen Religionen vorkomme. Ein geistlicher Missbrauch, der auch als spiritueller oder religiöser Missbrauch benannt werde, gehe in der Regel mit einer asymmetrischen Machtstruktur einher zwischen einer geistlichen Autorität und einer Person, die sich ihr anvertraue. "Die Autorität nimmt die Position Gottes ein und spricht mit seiner Stimme", erklärte Butenkemper, die in einer katholischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Köln arbeitet. Die Person versichere glaubhaft, dass sie einen "guten Draht nach oben habe" und daher wisse, was der Wille und der Plan Gottes sei. Zu diesen Erkenntnissen kam die systemische Therapeutin anhand von Forschungsergebnissen. Im Rahmen einer qualitativen Studie hatte die Autorin Interviews mit Betroffenen geführt, die geistlichen Missbrauch in unterschiedlichen geistlichen Gemeinschaften erfahren hatten.
Risikofaktoren für geistlichen Missbrauch
Oft handele es sich bei Tätern, ob in Gemeinschaften, Kirchengemeinden oder Familien, um charismatische Personen. "Diese sind sehr beliebt, weil sie viele, auch junge Leute, anziehen. Diese Personen wurden auch in der katholischen Kirche stark gefördert, da nur auf deren Fassade geschaut wurde." Dahinter befänden sich allerdings Personen, die eigene Selbstzweifel kompensieren und eigenes Leid weitergeben wollten oder eine mangelnde Qualifikation in den Bereichen Theologie, Seelsorge und Führungskompetenz hätten sowie Menschen mit einer narzisstischen Neigung. Die Referentin betonte: "Geistlicher Missbrauch kann jedem widerfahren, aber ein niedriger Selbstwert, Sehnsucht nach einer haltgebenden Beziehung und einem Lebenssinn sowie der Wunsch, den Glauben mit Entschiedenheit zu leben, können Risikofaktoren sein, die geistlichen Missbrauch begünstigen."
Wie ist Hilfe und Unterstützung möglich?
Wie könne man Freunden, Kollegen und Angehörigen helfen, die vermutlich geistlichen Missbrauch erfahren? "Die Personen befinden sich in einem geschlossenen System", erklärte sie, das mache den Ausstieg sehr schwer, wie die Angst vor einer Strafe Gottes und vor den Täterinnen und Tätern, vor Einsamkeit und dem Verlust des Lebenssinns und der Orientierung. "Oft wird in geistlichen Gemeinschaften vor Außenkontakten gewarnt und die Außenwelt als Bedrohung dargestellt", erklärte Butenkemper. Daher könne ein Ausstieg in der Regel nur über die eigene Erkenntnis der Betroffenen geschehen, wenn sie eine Außenperspektive zulassen, sich über geistlichen Missbrauch informieren oder wenn sie einen körperlichen oder psychischen Zusammenbruch erleiden. Eine Gefahr sei, dass geistlicher Missbrauch häufig eine Vorstufe von sexualisierter Gewalt sei, erläuterte Butenkemper. Die Referentin riet den rund 35 Interessierten: "Pflegen Sie die Freundschaft weiter, und mit einer großen Feinfühligkeit können Sie Außenperspektiven anbieten."
Zum Abschluss des Vortrags und des engagierten Austausches sagte Hof, dass man die Aspekte des Abends mit in die Überlegungen hineinnähme, wie das Thema "Prävention" mehr Gewicht im Pastoralen Raum Neuwied und in der Kirche insgesamt bekommen könnte und dass die Bedeutung einer Kultur der Achtsamkeit durch den Vortrag noch einmal verstärkt wurde. (PM)
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