Pressemitteilung vom 10.01.2024
Vormundschaftsrechts-Reform in Neuwied: Wenn aus Akten Menschen werden
Vormund und Mündel: Das war in Deutschland lange ein rein bürokratisches Verhältnis. Doch aus der Akte ist ein Mensch geworden. Ein Mensch, der Mitspracherecht hat. Zuletzt ist das Vormundschaftsrecht zum Jahresbeginn 2023 entsprechend reformiert worden. Nach einem Jahr zieht Bettina Grzembke als zuständige Abteilungsleiterin bei der Neuwieder Stadtverwaltung ein positives Zwischenfazit
Neuwied. "Ich denke, die Umsetzung läuft bei uns sehr gut. Wir sind, auch im Vergleich mit anderen Kommunen, durchaus weit", freut sie sich. Doch worum geht es in der Praxis? Für die Erklärung muss man ein wenig ausholen: Das deutsche Vormundschaftsrecht stammt - wie so viele Gesetze - ursprünglich aus dem 19. Jahrhundert. Es basierte rein auf der Vorstellung, dass das Vermögen von Waisenkindern von einer neutralen Instanz verwaltet werden soll.
Dass das nicht mehr zeitgemäß ist, zeigte sich spätestens in dem Moment überdeutlich, als in Bremen ein drogenabhängiger Vater seinen unter amtlicher Vormundschaft stehenden Sohn umbrachte. Der "Fall Kevin" führte 2011 zu einer ersten grundlegenden Reform. "Damals sind das Kind und seine Rechte in den Vordergrund geholt worden. Zudem wurde eine Fallzahlen-Obergrenze eingezogen, dass ein Vormund höchstens 50 Mündel betreuen darf", erzählt Bettina Grzembke und unterstreicht: "50 - das war schon ein riesiger Fortschritt."
Vormünder-Arbeitsgruppe gegründet
Parallel dazu wurden zahlreiche neue Stellen geschaffen, verbunden mit der Überlegung, diese mit Sozialarbeitern zu besetzen und nicht nur mit Verwaltungsfachkräften. "Wir waren da in Neuwied schon ziemlich fortschrittlich und hatten bereits 2005 eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst gegründet", berichtet Bettina Grzembke, die nur ein Jahr später auch eine Vormünder-Arbeitsgruppe für zwölf Jugendämter im nördlichen Rheinland-Pfalz initiierte.
"Wir treffen uns seitdem regelmäßig zum Austausch und werden mittlerweile auch vom Landes-Jugendamt unterstützt. Aber im restlichen Rheinland-Pfalz gibt es das nicht", berichtet sie.
Die nächste, zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Reform auf Bundesebene geht nun noch einen Schritt weiter. Die persönliche Vertretung des Kindes durch den Amtsvormund und dessen unabhängige Stellung im Jugendamt wurden ausgebaut. "Es ist in Neuwied noch nicht vorgekommen, aber unsere Vormünder könnten uns auch verklagen", weiß Jugendamtsleiter Bernhard Fuchs. Die Vormünder sind folglich nicht weisungsgebunden, sondern unabhängig.
Zusammenarbeit im Sinne der Kinder
"Natürlich gibt es Spielregeln. Aber die Aufsicht führt am Ende das Familiengericht", macht Bettina Grzembke deutlich, sagt aber im gleichen Atemzug, dass die Zusammenarbeit mit dem Amtsleiter und den Kollegen des "Allgemeinen Sozialen Dienstes" (ASD) sehr gut läuft. "Ganz klar: Wir arbeiten nicht gegeneinander, sondern im Sinne der Kinder zusammen", unterstreicht sie.
Zu den neuen Spielregeln gehört, dass die Vormünder nun eine Informationspflicht gegenüber den Angehörigen haben, vor allem aber ihre Mündel bei der Erstellung des Jahresberichtes auch teilhaben lassen müssen. "Die Kinder haben jetzt ein Recht auf persönlichen Kontakt zum Vormund. Vorher war das lediglich eine Pflicht des Vormunds", erklärt Bettina Grzembke.
Zudem müssen die jeweiligen Pflegeeltern einbezogen werden, was in Neuwied aber vorher schon gelebte Praxis war. Darüber hinaus wird derzeit in der Stadtverwaltung eine Koordinierungsstelle eingerichtet, die als Schnittstelle zwischen Vormündern, dem ASD und dem Gericht dienen soll. Denn künftig ist auch vorgesehen, dass Ehrenamtliche die Vormundschaft für einzelne Kinder übernehmen können und dann hier geschult, beraten und begleitet werden.
In der Deichstadt ist darüber hinaus ein zusätzlicher Vormund bei der Verwaltung eingestellt worden. Damit gibt es für insgesamt rund 100 Mündel im Neuwieder Stadtgebiet dreieinhalb Stellen, womit die Fallzahlen-Obergrenze noch einmal deutlich gesenkt wurde. (PM)
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