AKTUALISIERT: Erzwingungsstreik im privaten Omnibusgewerbe RLP: Welche Schuld hat die Politik?
Von Thomas Sonnenschein
Im Tarifkonflikt zwischen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und der Vereinigung der Arbeitgeberverbände Verkehrsgewerbe Rheinland-Pfalz e. V., läuft nach einer überwältigenden Mehrheit in der Urabstimmung seit heute Morgen (11. März) ein 7-tägiger Erzwingungsstreik. Ver.di hatte für den Morgen zu einer Pressekonferenz nach Mainz eingeladen. Eine deutliche Mitschuld an den schwierigen Verhandlungen wird der Landespolitik vorgeworfen.
Region. Die Pressekonferenz hatte gerade erst begonnen, da verkündete Verhandlungsführer Marco Bärschneider, dass die Fahrer landesweit noch die nächste Haltestelle anlaufen würden, dann werde seit 9.50 Uhr heute Morgen (Montag, 11. März) für eine Woche bis einschließlich der letzten Schicht am Sonntag, 17. März, nahezu im ganzen Land kein Bus mehr rollen. Bereits in der letzten Woche hatte die ver.di Tarifkommission unangekündigte Streikmaßnahmen öffentlich angedroht.
Betroffen davon sind unter anderem sämtliche Betriebe und Standorte der DB Regio Bus Mitte GmbH, der DB Regio Bus Rhein-Mosel GmbH, der Westerwaldbus des Kreises Altenkirchen GmbH, der Jörg Orthen GmbH, der Martin Becker GmbH, der VRW, der MVB, der Palatina Bus GmbH, der SVG Scherer Verkehrs GmbH, der Scherer Reisen Omnibus Gesellschaft mbH, der Stemmler-Bus GmbH, der Koblenzer Verkehrsbetriebe GmbH, der MB Moselbahn mbH, der Zickenheiner GmbH, der Stadtbus Zweibrücken GmbH sowie der Nahverkehrsbetriebe Birkenfeld GmbH. Insgesamt geht es um rund 4.000 Beschäftigte, die den Nahverkehr überhaupt erst ermöglichen.
99,12 Prozent stimmten für längere Streiks
Zuvor gab es eine Urabstimmung der Gewerkschaftsmitglieder mit einer überwältigenden Mehrheit von 99,12 Prozent für einen längeren Erzwingungsstreik. Bärschneider begründete die Maßnahme damit, dass die Arbeitgeber bislang lediglich 2,5 Prozent im laufenden und auch im nächsten Jahr angeboten und sich seither keinen Millimeter bewegt hätten.
Um diese Position der Arbeitgeberseite zu erläutern, skizzierte Bärschneider die Vertragsstandards der Betreiberfirmen mit dem Land. So handelt es sich in der Regel um mehrjährige Verträge mit einer jährlichen Steigerung der Zuwendungen um eben jene 2,5 Prozent. Alles, was darüber hinaus an Kosten entstehe, würde alleine die Kassen der Betriebe belasten. Anhand der Vielzahl der Beschäftigten, sei es als Fahrer oder Angestellter in Werkstatt, Verwaltung und Logistik, wäre dies für die meisten Betriebe ein gewaltiger Posten, der nicht so ohne Weiteres alleine gestemmt werden könne.
Das gebrochene Versprechen eines Indexes
Um derartige Risiken abzuwenden, haben angrenzende Bundesländer einen Index zu den bestehenden Verträgen erarbeitet, darunter Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Dadurch würde ein Teil der Mehrkosten durch die Länder kompensiert, um die Betriebe zu entlasten. In Rheinland-Pfalz, so argumentieren die Arbeitgeberverbände, fehlt ein solcher Index noch immer.
Hier sieht die Gewerkschaft Ver.di einen klaren Wortbruch der Landesregierung. Bereits im Juni 2020 hätte Staatssekretär Andi Becht die Erstellung eines Indexes versprochen. Stattdessen hätte man Zeit geschunden und zunächst zwei Jahre Förderrichtlinien erarbeitet. Michael Köhler, Beschäftigter der DB Regio Bus, ergänzte, Malu Dreyer persönlich habe im Februar 2021 bei der Landtagswahl abermals die Umsetzung eines Indexes versprochen. Stattdessen kam es nach Ablauf der zwei Jahre, man glaubt es kaum, zu einer weiteren zweijährigen Erarbeitung der Förderrichtlinien. Somit hat sich bis heute in dieser Sache nichts getan. Dabei geht es bei dem Index um nichts weniger als die Sicherung der Finanzierung der privaten Betriebe im öffentlichen Nahverkehr. Wenn diese nun in Existenznot geraten, sei das ein klares Versäumnis von vor Jahren versprochener Politik.
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Jetzt ist es trotz der bisherigen Warnstreiks zu spät und weite Teile des Landes sind von den Streikmaßnahmen betroffen, ebenso der gesamte Überlandverkehr, der öffentliche Nahverkehr für Berufspendler sowie der gesamte Schülerverkehr. Der Landeselternsprecher wurde von ver.di bereits in der Vorwoche über die bevorstehenden Einschränkungen informiert. Dies teilte Bärschneider bei der Pressekonferenz in Mainz mit.
Forderung von Ver.di
Ver.di fordert einen Inflationsausgleich in Höhe von 500 Euro monatlich sowie einer Einmalzahlung von 3.000 Euro. Angesichts der Abschlüsse im Nachbarland Baden-Württemberg, wo 700 Euro monatlich zusätzlich ausgezahlt werden, hält Ver.di-Tarif- und Branchenexperte Christian Umlauf die Forderung keineswegs für zu hoch. Sollte die Vereinigung der Arbeitgeberverbände mit einem fairen Angebot die Gespräche fortsetzen wollen, werde sich die Gewerkschaft nicht verschließen, darüber waren sich Umlauf und Bärschneider einig.
Einige Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs, die der Pressekonferenz beiwohnten, äußerten, dass die bisherigen Gehälter angesichts der Inflation deutlich zu gering seien und als Krönung auch in die Altersarmut führen würden, zumal wichtige Rentenpunkte damit nicht erzielt werden könnten. Auch sei durch die Ungleichbezahlung der Länder ein Abwandern qualifizierter Fahrer ins Nachbarland zu befürchten. Denn bei gleichem Einsatz wäre die Entlohnung und damit auch die Wertschätzung wesentlich besser aufgestellt. Ein Teilnehmer sagte gar: "Ohne eklatante Erhöhung wird in Rheinland-Pfalz der Markt an qualifizierten Busfahrern bald leer gefegt sein".
Demonstration am Donnerstag
Um das Augenmerk der Politik auf diese Misere zu lenken wird Ver.di am Donnerstag, 14. März, in Mainz vor dem Finanzministerium in der Bauhofstraße von 12 bis 14 Uhr eine Demonstration veranstalten. 2.000 Teilnehmer wurden angemeldet. Unter anderem wurde dazu auch Finanzministerin Doris Ahnen eingeladen.
Kommunale Arbeitgeber mit deutlich besserem Angebot
Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass die kommunal geführten Betriebe im öffentlichen Nahverkehr, zum Beispiel in Mainz, ein weitaus besseres Angebot vorgelegt hätten. Hier sieht Bärschneider gute Chancen, dass es am Dienstag, 12. März, zu einer Einigung kommen könnte. Nur wenn auch diese Verhandlungen letztlich scheitern sollten, würden sich auch die Beschäftigten dieser Betriebe dem Streik anschließen.
Fazit: Ein Ausgleich durch einen Index ist in jedem Fall gedeckelt. Keineswegs würde das Land die vollständigen Mehrkosten übernehmen. Aber ein Index hätte es den Arbeitgebern erleichtert, ein faires Angebot vorzulegen. Trotz Tarifautonomie sollte die Landesregierung in diesem Fall zu ihrem Wort stehen und einen Index schnellstens aufstellen, denn so wie es läuft, kann niemand zufrieden sein: Die Arbeitgeber nicht, die Beschäftigten nicht und die Fahrgäste, die auf eine öffentliche Beförderung angewiesen sind, schon gar nicht. (Thomas Sonnenschein)
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