Zeitgemäßes Theater im JuSch: Was das Nashorn auf der anderen Zaunseite sah, war dramatisch
Von Helmi Tischler-Venter
Mit dem Theaterstück "Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute" von Jens Raschke, wagt das Junge Schlosstheater (JuSch) in Neuwied eine zeitgemäße und zeitwichtige Darstellung des Holocaust. Der harmlose Titel täuscht, das Stück hat es in sich. Das intensive Spiel der vier jungen Mimen inspiriert zum Nach-Denken.
Neuwied. Zu Anfang sieht das Publikum nur eine weiße Projektionsfläche mit der Zeichnung eines Nashorns. Konkreter wird das Tier nicht, denn es ist vor Beginn der Handlung bereits verstorben. Von den schwarz-weiß gewandeten Akteuren erfährt man, dass das Nashorn Sehnsucht hatte nach seiner Heimat Bengalen. Das Murmeltiermädchen schluchzt: "Ich werde das Nashorn nie und nimmer vergessen!" Doch nach seinem langen Winterschlaf denkt es nur noch ans Fressen.
Was hinter dem Zaun zu sehen ist, erfährt man in den Dialogen und Ausrufen der Zootiere: Auf der anderen Seite des Zauns leben schwarz-weiße Zebrawesen, die dürr sind und auf zwei Beinen gehen. Papa Pavian nennt sie "die Gestreiften", im Gegensatz zu den "Gestiefelten", die in schönen Häusern wohnen und die Tiere im Zoo besuchen. Papa Pavian ist der Wortführer im Zoo, der sich mit der Situation arrangiert: "Lieber gar nicht erst auffallen und nicht so neugierig sein, sonst geht’s dir wie dem Nashorn."
Alle warten auf den Ersatz für das Nashorn. Per Zug taucht ein neuer kleiner Bär auf, der seine Mama und Schwester vermisst. Er sitzt einfach nur da und schaut über die Köpfe der Kinder hinweg zu den Gestreiften, den Stinkern. Die gestiefelten Kinder wollen die Stinker vertreiben, ein Schuss fällt und der Junge mit dem gelben Stoffstern fällt um. Der große Gestreifte, der das Kind beweint, läuft auf den Zaun zu und bleibt am hustenden Draht liegen.
Nun wird jedem Zuschauer klar, dass neben dem Zoo ein Konzentrationslager ist. Erst recht, als der neue Bär wissen will, warum es keine Vögel gibt und warum dicker, schwerer, Übelkeit erzeugender Nebel aus dem großen Schornstein kommt. Der Bär durchschaut das Geschehen und will die Mitbewohner warnen, doch Papa Pavian will keinen Aufruhr: "Hier ist man gut zu uns, solange wir uns benehmen… Schuld ist der Bär, der macht alle Tiere ganz wuschig. Der Bär muss weg!" Der Bär entschließt sich zum Handeln, mit fatalen Folgen.
Die Geschichte basiert auf dem realen Zoologischen Garten, der 1938 direkt neben dem Konzentrationslager Buchenwald eröffnet wurde. Der Autor Jens Raschke nutzt die Historie des Ortes, um eine zeitlose Parabel über Anpassung, Mut, Unrecht und Unmenschlichkeit zu erzählen.
Die vier jungen Schauspieler Enya Bicerevic, Victor Maria Diderich, Neele Pettig und Johannes Zajdowicz schlüpfen in wechselnde Rollen, die sie mit fesselnder Intensität verkörpern. Dazu reichen ihnen schwarz-weiße Pullover und einige mobile Käfiggitter. Bühnenbildner Walter Padao nutzt die Projektionswand für die Darstellung von Qualm, Feuer und Sternbildern. Die Inszenierung von Katarina Schmitt schafft nachhaltiges Mitfühlen und einen kindgemäßen Zugang in eine schwierige Thematik.
Weitere Aufführungen für Schulen ab Klasse 6 finden vom 7. Mai bis 16. Mai jeweils um 10 Uhr statt. Eine theaterpädagogische Begleitmappe sendet das Theater nach Reservierung zu. Ein Workshop zur Vor- oder Nachbereitung des Stücks durch die theaterpädagogische Abteilung bietet das JuSch auf Anfrage kostenlos an. Buchungen per Mail an: kasse@schlosstheater.de oder telefonisch: 02631/ 22288. htv
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