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Nachricht vom 07.06.2024    

Viel Lachen, Lesen und Reden mit Adriana Altaras in Hachenburg

Von Helmi Tischler-Venter

Die Karten im altehrwürdigen Vogtshof in Hachenburg waren längst ausverkauft für die Lesung der vielseitigen, temperamentvollen Künstlerin Adriana Altaras. Wer einen Platz ergattert hatte, erlebte einen sehr humorvollen, intensiven und persönlichen Vortrag der erfolgreichen Jüdin, die in Berlin lebt und dort auch bleiben will, trotz der angespannten politischen Situation.

Adriana Altaras liest in Hachenburg. Fotos: Helmi Tischler-Venter

Hachenburg. Mitveranstalter Thomas Pagel von der Hähnelschen Buchhandlung bekannte, dass ihn der Film „Titos Brille“ so angetörnt habe, dass er die Künstlerin unbedingt für eine Lesung gewinnen wollte. Denn Adriana Altaras, die 1960 in Zagreb als Tochter von Partisanen geboren wurde, ist mehr als nur Autorin. „Sie hat eine ziemlich irre Geschichte, denn sie wurde mit vier Jahren nach Mantua verschleppt, weil Tito große Probleme machte, wurde nach drei Jahren nach Deutschland geholt, wo sie die Waldorfschule besuchte. Sie studierte Schauspiel in Berlin und New York, spielte in Film- und Fernsehproduktionen und inszeniert seit den Neunzigerjahren an Schauspiel- und Opernhäusern“, stellte Pagel den Gast vor.

Adriana Altaras rechtfertigte ihren Besuch der Waldorfschule: „Man lernt in der Waldorfschule, dass man alles kann. Das ist gut im Leben.“ So habe sie Opern inszeniert, obwohl sie kaum Noten lesen könne.

Altaras erzählt in dem Buch „Besser allein als in schlechter Gesellschaft“ von ihrer Tante, der schönen Teta Jele. Von einer Frau, die 101 Jahre alt wurde, die spanische Grippe, das KZ und ihre norditalienische Schwiegermutter überlebte und sich zeitlebens wunderte, wie sie das alles überlebte, während um sie herum alle starben. Schlimm war für die betagte Dame die Zeit der Corona-Pandemie, die sie in einem Seniorenheim in Padua verbrachte. Mit dieser Situation begann die Lesung: „Meine Tante sitzt fest. Sie darf nicht raus und ich darf nicht rein.“ In regelmäßigen Telefonaten mit ihrer Tante entwirft die Autorin auf sehr humorvolle Weise ein zartes, bewegendes und zugleich irre komisches Porträt einer wunderbar kapriziösen Frau. Diese lebt und denkt bourgoise, im Gegensatz zu ihrer begeistert kommunistischen Schwester. Ihre Familie besteht nur noch aus ihrer Nichte Adriana und deren Söhne.

Von beiden Frauen erfährt man eine Menge Lebensweisheiten. Von der Tante stammt nicht nur der Buchtitel, sondern auch die Aussage: „Geld wird es noch geben, uns aber nicht mehr.“ Bedingt durch immer schwächere Sehkraft bekennt sie: „Die letzten Jahre habe ich auf Verdacht gekocht.“ Nach Deutschland zu ihrer Nicht will sie nicht umziehen, denn „Längeres Leben hat man eindeutig mit Pasta“.

Das Buch wechselt immer wieder von der Perspektive der Tante zu der Nichte. Von ihr stammt die Erkenntnis: „Man muss sehr gute Nerven haben, will man es in der Geriatrie zu etwas bringen!“ Und: „Die Tante ist 101 Jahre alt geworden. Ich hatte also genug Zeit, die Tante und deren Sprüche zu üben.“ Ihre große Liebe zur Tante sei entstanden, weil sie bei ihr konfliktfrei aufwuchs. Daher wagt sie die „steile These: Es ist besser, man wächst nicht bei der Mutter auf.“



Zu ihrer Stellung im Judentum befragt, meinte Altars, sie sei eine extrem assimilierte Jüdin. Sie habe erst durch ihre Kinder alle Gebräuche gelernt, der Zentralrat sei immer da, wenn sie Gehör brauche. Es war ihr wichtig, festzustellen, dass ihr Kanzler Scholz heißt, nicht Netanjahu: „Ich bin Jüdin, aber keine Israelitin!“ Der Gaza-Krieg bedrücke sie sehr. Ebenso die aktuelle Bedrohung von Juden, zum ersten Mal stehe nicht das Leben von Eltern und Großeltern auf dem Spiel, sondern ihr eigenes. Sie appellierte, am Wochenende bitte Demokraten zu wählen, nicht die AfD. „Wir haben ein ganz tolles Land, das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen!“

Als Hommage an die im Haus befindliche mitveranstaltende Stadtbücherei Hachenburg las Altaras zwischendurch einen noch nicht veröffentlichten Text über von ihr geliebte Büchereien.

Die Autorin glaubt, dass ihre Tante so lange gelebt hat, um sich um die Nichte kümmern zu können. Öfters sieht sie ihren Freund, den Tod, auf der Bettkante sitzen, aber sie hat einen Deal mit ihm, denn sie muss noch einiges erledigen: „Adriana will ständig etwas wissen.“ Nach dem Ableben will sie auf keinen Fall neben ihrem Mann begraben werden, in einer Gruft mit der Schwiegermutter. Sie stellt es sich auch schön vor, wenn ihre Asche im Gardasee verstreut würde. „Es kommt in Wellen, das Ende, soviel ist schon mal sicher. Niemand bereitet einen auf das Ende vor.“ Den Rabbiner will sie nicht sehen: „Zwangsabendmahl – Wer will das schon?“

„Besser allein als in schlechter Gesellschaft“ ist tröstliches, inniges Buch, das erzählt, wie man das Leben annehmen und wie man es loslassen kann.

Thomas Pagel freute sich, dass die von ihm verehrte Autorin „meine höchsten Erwartungen noch übertroffen“ hatte. Diese Einschätzung teilten die Besucher der Lesung mit ihm.

Weitere Veranstaltungen des Westerwälder Literatursommers, der Bestandteil des Kultursommers Rheinland-Pfalz ist, findet man auf der Homepage https://ww-lit.de/programm/. htv



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