75 Jahre Bauern- und Winzerverband Neuwied: "Landwirtschaft der Gesellschaft wieder näherbringen!"
In einer offiziellen Feierstunde begingen Mitglieder, Ehrengäste und Vorstand des Kreisbauern- und Winzerverbandes das 75-jährige Bestehen der Organisation. Dazu hatte man auf den Hof Meerheck in den Neuwieder Stadtteil Heimbach-Weis eingeladen, wo eine Vielzahl von Gratulanten auf dem Podium stand, um die Arbeit und Konstanz des Berufsverbandes in Grußworten und Fachreferaten zu würdigen.
Neuwied-Heimbach-Weis. Dazu war ein Teil des Stalles des landwirtschaftlichen Betriebes liebevoll zur stimmungsvollen Festhalle verwandelt worden. Für eine schwungvolle Eröffnung des Festaktes sorgte der Spielmannszug 1951 Heimbach-Weis e.V., der mit schmissigen Märschen und einer gehörigen Portion Dynamik für die nötige Aufmerksamkeit sorgte. Dann begrüßte Ulrich Schreiber, Vorsitzender des Kreisverbandes, die Gäste und zeichnete die Geschichte seines Kreisverbandes detailliert nach, dem er bereits seit dem Jahr 2000 vorsteht.
Dabei schilderte er eindrücklich die nach wie vor wichtige Rolle der Landwirtschaft früher und auch heute. Seinen historischen Rückblick begann Schreiber mit einem Zitat des Landwirtschaftsministers Oskar Stübinger in der ersten Sitzung des rheinland-pfälzischen Landtages: "Gebt uns Brot, alles andere interessiert uns wenig", beschrieb damals die Erwartung an die Landwirte sowie deren Verantwortung nach dem Krieg und in dieser Zeit gründete sich auch der Kreisverband. In seiner Rede würdigte der Vorsitzende weiterhin die Arbeit seiner engagierten Vorgänger, lobte ausdrücklich die Arbeit seines Geschäftsführers Markus Mille mit dem Team der Geschäftsstelle und skizzierte dann den Wandel seines Berufsstandes im Laufe der Zeit.
Der Druck wächst
Vielen Herausforderungen habe man sich immer wieder stellen müssen und sehe sich heute mehr denn je durch unrealistische politische Reglementierungen und immer mehr Bürokratisierung unter Druck und gegängelt. Grund dafür seien vermehrt ideologische Standpunkte der politisch Verantwortlichen bezüglich Umweltorientierung, Klimaveränderung und zunehmender Digitalisierung.
"Die Welt hat sich in den vergangenen 75 Jahren verändert, und so haben sich auch die Herausforderungen für unsere Landwirtschaft verändert", so Schreiber, der zu fachlichen und sachlichen Diskussionen und zu mehr gemeinsamer Lösungsfindung aufrief und zum Schluss kam: "Wir können Lebensmittel, nachwachsende Rohstoffe und Energie produzieren und gleichzeitig Umweltschutz liefern - jedoch setzt das voraus, dass die Probleme gemeinsam mit der Landwirtschaft und nicht gegen sie angegangen werden".
Nach der Rede des Kreisvorsitzenden nutzte Patrick Neumann die Gelegenheit als "Hausherr" den elterlichen Betrieb Hof Meerheck vorzustellen. Er erklärte in sympathischer Manier, wie die Familie um seine Eltern Werner und Marie-Theres Neumann den Betrieb führen, der sich auf Schafzucht, die entsprechende Fleischproduktion und-vermarktung sowie auf Ackerbau spezialisiert hat. Derzeit zählt das Unternehmen rund 500 Mutterschafe und entsprechenden Nachwuchs und bearbeitet 140 Hektar Feld.
Den Diskurs fördern
Nach einer weiteren musikalischen Kostprobe des Spielmannszuges stellte dann Markus Mille (Geschäftsführer des Verbandes) Walter Clüsserath vor, der in seiner Funktion als Vize-Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau seine Gratulationen und Grußworte überbrachte. Gleichzeitig gratulierte der Winzer Ulrich Schreiber persönlich für die kürzliche Wahl zum Stadtbürgermeister von Dierdorf und betonte dabei, dass es für Landwirte wichtig und richtig sei, sich in der kommunalen Politik zu engagieren, um so den Diskurs mit weiteren Interessenvertretern zu fördern und zu fordern.
Dabei richtete er einen besonderen Appell an jüngere Generationen in der Landwirtschaft, sich zu engagieren und einzubringen. In seiner Rede stellte der Vize-Präsident besonders die Zunft der Weinbauern in den Fokus, deren es immer weniger werden, mitverursacht durch immer höhere Auflagen und Vorschriften. Ähnlich wie auch Schreiber forderte Clüsserath von der Politik mehr pragmatische Lösungen und ergebnisorientierte Gespräche auf Augenhöhe, statt der nimmer endenden Restriktionen.
Für den Stadtteil Heimbach-Weis gratulierte dann Ortsvorsteher Markus Blank, der als Schirmherr der Veranstaltung stilecht einen Regenschirm mit Schafen als Motiv aufspannte und die Vertreter der Landwirtschaft in seinem Stadtteil herzlich willkommen hieß. Auch der Neuwieder Oberbürgermeister Jan Einig ließ es nicht nehmen, dem Kreisbauern- und Winzerverband seine Glückwünsche zu überbringen und betonte in seinem Grußwort, dass der Verband seit der Gründung 1949 immer engagiert und ambitioniert für seine Ziele eingestanden sei und würdigte die wichtige Aufgabe der Landwirtschaft in der Wirtschaft sowie zum Erhalt der Kulturlandschaft.
Er zeigte sich solidarisch mit den Demos und Protesten, denn Landwirtschaft sei gleichzeitig Beruf und Berufung. Der Oberbürgermeister ermutigte den Verband daher, weiterhin als Interessenvertretung eine starke Stimme für seine Mitglieder zu sein.
Gemeinsame Chancen und Möglichkeiten
Landrat Achim Hallerbach nannte die Landwirte in seinen Grußworten "Garanten dafür, dass unsere Landschaft so vielseitig bleibt und erhalten wird". Gleichsam ging er auch auf die innovativen Vermarktungskonzepte und fruchtbare Kooperation mit der Initiative "Wir Westerwälder" ein, die er als gemeinsame Chance und Möglichkeit lobte. Dafür dankte er ausdrücklich und lobte das hohe Engagement der hiesigen Bauernschaft, die sich unermüdlich und trotz aller Unwägbarkeiten stets für die Region und ihren Berufsstand einsetzt.
Hallerbach erläuterte auch die Folgen des demographischen Wandels für die Landwirtschaft. So sei von 1979 bis 2020 ein rapider Abbau landwirtschaftlicher Flächen zu verzeichnen, die in mehr und mehr Wohn- oder Industrieflächen umgewandelt worden seien. Dies sowie eine aus seiner Sicht komplett verfehlte Politik des grünen Landwirtschaftsministeriums mache es den Landwirten immer schwerer, für die Ernährung Deutschlands zu sorgen.
Denn der Berufsstand könne immer weniger entscheiden und werde durch Gesetze, Vorgaben, Auflagen bevormundet. Daher sei er auch bei den Protesten und Demos der Landwirte im Winter an deren Seite gewesen, auch wenn er dafür kritisiert worden sei. Denn für Hallerbach zähle die Landwirtschaft zum Rückgrat der Gesellschaft und sie sei systemrelevant. Eindeutig machte er zum Schluss seines engagierten, emotionalen Beitrages klar: "Macht weiter so für unsere Landwirtschaft und eines ist sicher: Der Landkreis Neuwied und der Landrat steht hinter Euch".
Rollen und Perspektiven
Hauptreferent war dann Ökonomierat Eberhard Hartelt, seines Zeichens Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd. In seinem Vortrag sprach er über "Rolle und Perspektiven der heimischen Landwirtschaft". Dabei reiste der Ackerbauer aus dem Donnersbergkreis zunächst gedanklich einige Jahrzehnte zurück und schilderte den Werdegang seines Vaters. Dieser, ein Vertriebener aus Schlesien, habe um seinen landwirtschaftlichen Betrieb zu gründen, etliche Hektar Wald gerodet und in den Anfangsjahren im Emsland gearbeitet, um Moore für die Torfgewinnung trockenzulegen.
"Heute undenkbar; ein Frevel und in der Nachbetrachtung auch unverständlich und falsch", attestierte Hartelt aus der heutigen Sicht. Sicher hätte die Landwirtschaft, wie auch andere Wirtschaftszweige, in der Vergangenheit einige Fehlentwicklungen mitgemacht - aber sei nicht grundsätzlich schuld an diesen, wie manche Naturschutz-Ideologie und etliche Politiker glauben machen würden.
In diesem Zusammenhang kritisierte er auch die mangelnde Verbundenheit der Gesellschaft mit der Landwirtschaft, die vor einigen Jahrzehnten noch viel selbstverständlicher gewesen sei. Wertschätzung und das Wissen um die Wichtigkeit dieses Wirtschaftszweiges seien abhandengekommen, wobei nach dem Krieg die Landwirte mit für die Entwicklung des Friedens in Europa beigetragen hätten.
Generelles Misstrauen
Vielmehr würde heute das generelle Misstrauen in die Landwirtschaft in immer mehr Verordnungen gegossen, die teils an der Realität vorbei und zuweilen schlicht nicht umsetzbar seien. "Wir können wegen einer Vorschrift nicht starr nach Kalender arbeiten, wie es EU und Bund teils vorgeben - die Natur richtet sich nicht nach uns, sondern umgekehrt", so Hartelt deutlich.
Dies sei in Zeiten des Klimawandels noch spürbarer geworden und diesen erlebten die Landwirte jedes Jahr auf den Feldern. Dazu bedürfe es keine Maßregelungen von dogmatisch argumentierenden Naturschützern und derlei EU-Verordnungen überforderten seine Branche förmlich. Es gelte, regionale Regelungen zu treffen, denn der Landwirt im Norden von Mecklenburg-Vorpommern arbeite unter gänzlich anderen Bedinungen als sein Kollege in der Voralpenregion.
Als Beispiel für die regionale Betrachtung nannte er eine niederländische Lösung, die einen Zusammenschluss in regionalen Kooperativen beinhaltet und durchaus erfolgreich ist. Warum eine solche Lösung in Deutschland - mit der Begründung von EU-Gesetzen - nicht möglich ist, blieb allen Anwesenden ein Rätsel.
Mitverantwortung für den Naturschutz
Generell setzte Hartelt aber stets auf den Dialog, nahm professionell viele Perspektiven ein und beschrieb die Landwirte als Mitverantwortliche für den Naturschutz und viele gemeinsame Initiativen seien diesbezüglich schon erfolgreich aufgesetzt. Kleinräumige Landwirtschaft könne beispielsweise zur Biodiversität beitragen und im Zusammenschluss könnten gute Vernetzungseffekte erreicht werden.
Anhand mehrerer Beispiele machte Hartelt klar, wie wichtig und bereit er und seine Berufskollegen für den Naturschutz seien und mahnte, dass die eigentlich verdiente Wertschätzung nicht gefordert, sondern erarbeitet werden müsse. Durch klare Information, starke Verbands- und Lobbyarbeit und stärkere Kommunikation; so auch in den sozialen Medien. Denn niemand könne schließlich die Landwirtschaft besser erklären als Landwirte selbst.
Und dabei gälte es auch ehrlich zu sagen: Nahrungsmittelproduktion ist nicht komplett ohne Nebenwirkungen machbar und konsequenter Naturschutz geht nicht ohne Kosten. Sonst überfordere man die Landwirte ein weiteres Mal und davor müsse man sich schützen. Zum Schluss seines Vortrages forderte Eberhard Hartelt deutlich zum Dialog und zum konstruktiven Miteinander auf und mit langem Beifall wurde der Beitrag des Präsidiumsmitglieds des Deutschen Bauernverbandes bedacht, bevor der Spielmannszug dann den offiziellen Teil mit einer weiteren Darbietung beschloss.
Bevor die Gäste sich die Speisen - zubereitet von den Aktiven der Feldküche der KG Weis - munden lassen und zum kollegialen Austausch übergehen konnten, dankte jedoch Kreisvorsitzender Ulrich Schreiber Familie Neumann, also den Hausherren, für die hervorragende Organisation und die brillante Bewirtung beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen des Kreisbauern- und Winzerverbandes. Dieser wird sich den künftigen Herausforderungen ebenso konsequent stellen wie im letzten dreiviertel Jahrhundert und kann sich der Unterstützung vieler Instanzen sicher sein, wie die Redebeiträge beim Fest bewiesen. (Heiko Marmé)
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