Nicole nörgelt … über Kaffeefahrten mit dem Rettungswagen
Von Nicole
GLOSSE | Wenn früher der Rettungswagen mit Blaulicht durch eine Straße fuhr und vor einem Haus anhielt, war die gesamte Nachbarschaft in Aufruhr. Denn eines war sicher: Hier war etwas Schlimmes passiert und jemand wirklich in Not. Heute dagegen ist der Anblick der Rettungswagen in der Nachbarschaft schon fast ein alltägliches Bild geworden – aber nicht, weil es so viel mehr Notfälle gibt.

GLOSSE! Heute wird der Rettungswagen in vielen Fällen leider nicht mehr gerufen, weil jemand schwer krank ist oder in Lebensgefahr schwebt.
Heute ist die Wahrnehmung, wann man den Rettungsdienst rufen sollte, in der Gesellschaft leider eine andere.
Die Situationen, in die die Sanitäter kommen, und die Erwartungen der Menschen sind – vorsichtig ausgedrückt – sehr vielfältig, um nicht zu sagen, ab und zu echt irre.
Häusliche Gewalt?
Da fährt man nachts um halb drei zu einer Adresse, die 500 Meter vom nächsten Krankenhaus entfernt liegt, und findet zwei Herrschaften mittleren Alters vor, die beide breit wie ein Rollfeld im Wohnzimmer sitzen. Auf die Frage, wie man hier helfen kann, zeigt der Mann auf seine Frau und antwortet: „Ich will, dass sie die mitnehmen, so geht das nicht weiter, die hat mich eben im Bett an den Haaren gezogen.“ Kurzes Schweigen im Raum – auch der leidgeprüfte Sanitäter, der einiges gewöhnt ist, muss sich bei so einer Aussage mitten in der Nacht einmal kurz sammeln. „Aber das ist nichts für ein Krankenhaus.“ Worauf die Frau auch sofort erklärt: „Ich bin auch gar nicht bereit, mitzufahren.“ Um weiteren ehelichen Streitigkeiten im Schlafzimmer vorzubeugen, kann man vorschlagen, dass einfach für den Rest der Nacht getrennt geschlafen wird. Gleichzeitig würde es nicht schaden, etwas – Nichtalkoholisches – zu trinken. Auch dieser Vorschlag wird mit den Worten: „Ich trinke kein Wasser, ich trinke nur Wodka.“ umgehend abgeschmettert. Gut, damit ist das Sanitätspersonal dann am Ende und kann eigentlich nichts machen, als den Ort des Geschehens zu verlassen. Was am Ende bleibt, ist ein Einsatz, bei dem Personal- und Materialkosten für den Rettungsdienst entstanden sind, der aber mit keiner Stelle abgerechnet werden kann.
Rettungswagen als Allheilmittel
Das ist nur eines von vielen Beispielen, die das System des Rettungsdienstes und gleichzeitig auch das Personal an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Inzwischen wird der Rettungswagen für alles gerufen – für Bluthochdruck, weil man keine Lust hat, beim Hausarzt zu warten, als kostenloses Transportmittel ins Krankenhaus, denn das Taxi müsste man ja bezahlen und manchmal auch einfach, weil alte Menschen in ihrem Zuhause einsam und hilflos sind. Wobei der letzte Grund wirklich noch einer ist, für den jeder, der in einem sozialen Beruf arbeitet, Verständnis hat. Selbst wenn das kein echter Notfall ist, hier braucht jemand Hilfe. Alle anderen, deren Einstellung einfach ist, dass ihnen das zusteht, weil sie ja Abgaben für die Krankenkasse bezahlen, gehören mal ordentlich wachgerüttelt. Es geht nicht darum, dass die Besatzungen nicht arbeiten wollen, nein, es geht einfach darum, dass der Rettungswagen für die lebensbedrohlichen Notfälle gebraucht wird. Jeder will, dass im Notfall schnellstmöglich Hilfe vor Ort ist, aber das ist nicht möglich, wenn der Rettungsdienst dauernd auf Kaffeefahrt ist.
Wohin mit der Patientenflut?
In Zeiten, in denen es nicht mehr viele Krankenhäuser gibt, in die der Rettungsdienst seine Patienten noch bringen kann, wird es umso schwieriger, weil zeitintensiver, für die Besatzungen, die anfallenden Einsätze noch abzuarbeiten. Und während der RTW mit Frau Brömmelkamp und ihrem Bluthochdruck, den der Hausarzt hätte behandeln sollen, der aber keine Zeit hatte, durch die Gegend gondelt, stirbt vielleicht an anderer Stelle ein Kind, weil der nächste RTW einfach zu weit weg ist. Und wer ist dann schuld? Frau Brömmelkamp, die nicht bereit war, mit dem Taxi oder dem Auto in die Notaufnahme zu fahren oder auf einen Hausarzttermin zu warten? Die Besatzung, die den Transport besser hätte ablehnen sollen, weil sie genau wusste, dass dies nichts für einen RTW-Transport ist, aber der Diskussion mit der Patientin aus dem Weg gegangen ist? Das System, das den Missbrauch letztlich ermöglicht? Am Ende ist es egal, wer vermeintlich schuld ist, denn am Ende ist ein Mensch gestorben, der vielleicht nicht hätte sterben müssen – und das nur, weil der RTW für nichts durch die Gegend gefahren ist.
In diesem Sinne, liebe Leser, scheuen Sie sich nicht, die 112 zu rufen, wenn sie ein ernsthaftes medizinisches Problem haben. Selbst wenn es sich vielleicht mit Glück als etwas Harmloseres herausstellt, wird Ihnen das niemand übelnehmen. Denn auch der Rettungsdienst kommt lieber einmal zu viel, als zu wenig – nur nicht absolut unnötig.
Ihre Nicole
Definition einer Glosse
Als Glosse wird ein kurzer journalistischer Text bezeichnet, in dem sich der Autor mit aktuellen Nachrichten auf satirische Art und Weise auseinandersetzt. Die Themen einer Glosse können sowohl gesellschaftlich wichtig als auch witzig oder kurios sein.
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Nicole nörgelt
Lokales: Puderbach & Umgebung
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