Initiativen fordern Ruhe zwischen 22 und 6 Uhr
Region. Bürgerinitiativen und Netzwerke gegen Bahn- und Fluglärm haben nach einem gemeinsamen Strategiemeeting in Boppard jetzt ein erstes Kommuniqué veröffentlicht. Darin geht es um die Forderung einer Novellierung des geltenden Immissionsschutzrechtes. Bisher biete das Gesetz keinen wirklichen Lärmschutz, sondern sei ein wirkungsloser symbolischer Akt.
Es reiche nicht, reflektierende Lärmwände aufzustellen oder die Menschen hinter Lärmschutzfenstern einzuschließen, sondern Lärm müsse an der Quelle bekämpft werden, um Lebensräume zu erhalten und Menschen wirkungsvoll vor Lärm zu schützen.
Das Kommuniqué wendet sich an die Bundesregierung und die im Bundestag vertretenen Parteien und fordert sie auf, die Menschen in ihren Wohn- und Lebensräumen zu schützen und den Wettbewerbsvorteil einer privilegierten europäischen Klimazone nicht weiter durch die ungehinderte Verbreitung von Lärm- und Schadstoffimmissionen zu gefährden.
Die Kernforderung im Bereich Lärmschutz sei an allen Verkehrswegen der Schutz der Nachtruhe in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr und darüber hinaus die Einhaltung und Überwachung von medizinisch zulässigen Lärmgrenzwerten, die laut WHO (Welt-Gesundheits-Organisation) tagsüber unter 50 und nachts unter 40 dB(A) liegen sollten (gerechneter Dauerschallpegel, der am Fenster eines Betroffenen außen ankommen darf.).
Das derzeitige Bundesimmissionsschutzgesetz müsse novelliert werden und der aktuelle Stand der Wissenschaft und der Technik bei der Lärmermittlung, Lärmbewertung, Grenzwertefestlegung und Überwachung zur Anwendung kommen. Hier ignoriere das derzeitige Immissionsschutzgesetz den eigentlichen Zweck, nämlich Menschen vor gesundheitsschädigenden und -gefährdenden Lärmbelastungen zu schützen und Lärmschutz als einklagbaren Rechtsanspruch zu manifestieren.
In ihrem Kommuniqué fordern die Initiativen die politischen Parteien auf, Allgemeingüter wie Wasser und Luft, aber auch Land und Ruhe zu schützen und entsprechend die sogenannten „externen Kosten“, die der Verkehr verursacht, nicht länger der Bevölkerung, sondern den Verursachern anzulasten. Die jetzt notwendige Erneuerung der in die Jahre gekommenen Infrastruktur in Deutschland und Europa sei nur zu bezahlen, wenn die Transporteure und ihre Kunden nicht nur den Nutzen, sondern auch den tatsächlichen Aufwand kennen.
Weniger Lärm bedeute eine „höhere Leistungsfähigkeit“ der Menschen, die sich neben sinkenden Gesundheitskosten auch durch höhere Produktivität bemerkbar mache. Der Wert von Immobilien würde sich verdoppeln, dadurch wäre Geld (Kreditlinie) vorhanden, um die notwendigen Investitionen in Sanierung und Erneuerung von Wirtschafts- und Privatbauten zu tätigen. Die Initiativen wollen deshalb mit dem Märchen aufräumen, Lärmschutz sei teuer und nicht zu bezahlen oder schade gar der Wirtschaft. Genau das Gegenteil sei der Fall, denn unbezahlbar seien die durch Lärm verursachten Nachteile und Schäden, die sowohl Industrie, Mittelstand und Handwerk als auch Dienstleistungsunternehmen treffen.
Frank Gross vom Bürgernetzwerk Pro Rheintal forderte für das Rheintal, jetzt die Lärmsanierung der Güterwaggons zur Priorität zu machen und gleichzeitig weitere Maßnahmen an den Bahnlinien zu beiden Seiten des Rheins auf den Weg zu bringen. „Wir schätzen die Sanierungskosten für die Güterwaggons auf zirka 360 Millionen Euro“, sagt Gross. Die Umrüstung könne wie geplant Ende 2012 beginnen und bis 2016 oder 2017 abgeschlossen sein. Nach Auskunft von Pro Rheintal gibt es dagegen bei der EU-Kommission lediglich Bedenken hinsichtlich der Handhabung der Zuwendungen. Der Staat könnte sich als Bahneigentümer selbst in die Tasche wirtschaften.
Die wahren Blockierer der Umstellung seien jedoch die Waggonhalter, die hier ein zusätzliches Geschäft witterten und die ihre Kosten auf bis zu 1,3 Milliarden Euro bezifferten. Das sei schlichtweg unverschämt, denn die uralten Waggons seien längst abgeschrieben und man sollte es als Gnade empfinden, dass sie nicht per Verordnung über Nacht aus dem Verkehr gezogen würden, was aus Sicht der Bevölkerung der einzig richtige Weg wäre. Die Kunststoffbremsen würden im Gegensatz zu den jetzigen Graugussbremsen viel länger halten, aber dafür die Radlaufflächen stärker beanspruchen. Das könne jedoch durch ETCS, ein elektronisches Leitsystem, das eingeführt werden soll, ausgeglichen werden, so dass es für die Betreiber/Halter keine großen Nachteile mehr gebe.
„Es ist einzig und allein eine Frage des politischen Willens und der Kraft, sich gegenüber Einzelinteressen von Bahn und anderen Waggonhaltern jetzt durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass Lärmschutz an der Quelle noch in diesem Jahr 2012 beginnt“, so Gross. Dadurch würde ganz Deutschland um erste entscheidende 10 dB(A) leiser!
Die Initiativen verlangen mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 klare Aussagen der Parteien zu den aufgestellten Forderungen und verbindliche Zusagen zu den daraus abgeleiteten Erklärungen.
In das Bündnis einbezogen werden sollen alle Initiativen, die sich mit Verkehrslärm beschäftigen (auch Straße) und die sich in dem Kommuniqué wiederfinden. Ein gemeinsamer Aktionsplan, der unveröffentlicht bleiben soll, werde dann individuell mit neu hinzukommenden Initiativen abgestimmt.