Die shitstorm-Problematik
Vor wenigen Jahren dienten shitstorms noch dazu Unternehmen unter Druck zu setzen, um ein bestimmtes Ziel für die Gesellschaft zu erreichen und gehörten zur öffentlichen Diskussion. Dann wurden sie zu Tsunamis der inhaltslosen Beleidigung und heute sind sie nur noch ein Sturm von rechtswidrigen Äußerungen und Aufforderungen zur Lynchjustiz. Auch in unserer Region. Ermittlungsverfahren sind anhängig.
Betzdorf/Region. Ein Video, auf dem ein 20 jähriger seinen zehn Wochen alten Jack-Russell-Terrier gewalttätig schlägt, führte zur Verhaftung des Tierquälers und der Unterbringung des Hundes in eine neue Familie. Es löste aber auch eine regelrechte Facebook-Hetzjagd gegen den Tierquäler aus Betzdorf aus. Darunter waren Aufforderungen zur Lynchjustiz oder gar den Täter umzubringen. Aus Angst, dass manche Kommentare in die Tat umgesetzt werden könnten, musste die Betzdorfer Polizei seine Wohnung überwachen sowie den Täter in behördliche Obhut geben. Es entstand ein sogenannter „shitstorm“- jedoch der schlimmen Art.
Der englische Begriff, ergibt sich aus den Worten „shit“ (= Scheiße) und „storm“ (= Sturm) und wird durch den Duden folgendermaßen definiert: „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht.“ Den Begriff gibt es jedoch nur im deutschsprachigen Raum.
Doch wie verhält es sich mit solchen shitstorm entsprechenden Kommentaren? Darf jeder im Internet sagen was er will, auch wenn es für Andere bedenkliche Folgen hat? In einem Interview mit Johannes Kempf, dem Direktor des Amtsgerichts Altenkirchen werden diese Fragen thematisiert:
Kurier: Musste sich das Gericht bereits mit der Thematik auseinandersetzen? Gab es solche Fälle bereits, die angezeigt wurden?
Kempf: Bisher ist das Amtsgericht Altenkirchen noch nicht mit der juristischen Aufarbeitung eines „shitstorms“ befasst gewesen.
Kurier: Welche juristischen Folgen können „shitstorm“ entsprechende Kommentare für die Verfasser haben?
Kempf: Sie dürfen hier bitte kein tiefgründiges juristisches Gutachten von mir erwarten wollen. Denkbar sind jedoch zivilrechtliche oder strafrechtliche Konsequenzen. Ob diese gegeben sind, ist jeweils die Frage des Einzelfalls, pauschalierte Aussagen dazu verbieten sich. Zivilrechtlich sind Ansprüche im Hinblick auf Schadensersatz und in stärkeren Fällen vielleicht auch Schmerzensgeld, wenn etwa der Nachweis gelingen sollte, dass durch entsprechende Äußerungen auch körperliche Beeinträchtigungen aufgetreten sind. Strafrechtlich kommen je nach Art der Äußerung die Straftatbestände der Beleidigung, Verleumdung, üblen Nachrede, möglicherweise auch Bedrohung, falsche Verdächtigung oder Nötigung in Betracht, je nach Adressatengruppe wäre auch Volksverhetzung im Sinne des § 130 StGB denkbar. Ob und inwieweit der Tatbestand des § 111 StGB, der das öffentliche Auffordern zu Straftaten betrifft, erfüllt ist, ist jeweils auch eine Frage des Einzelfalls.
Kurier: Wie ist der Fall, wenn es sich um jugendliche Verfasser handelt?
Kempf: Ob die Täter Jugendliche, Heranwachsende oder Erwachsene sind, ist zunächst einmal unerheblich. Unterschiede gibt es lediglich in der Sanktionierung, abhängig davon, ob Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt.
Kurier: Was darf man aus juristischer Sicht nicht in einen Kommentar schreiben?
Kempf: Die Aussagen müssen zunächst objektiv einmal wahr sein und dürfen keinen im Sinne der Antwort zur zweiten Frage strafrechtlich relevanten Inhalt haben. Vielleicht dazu ein kurzer Merksatz: „Was Du nicht willst, das man Dir tut, das füg‘ auch keinem andern zu“. Wenn das ohne Selbstgerechtigkeit beachtet würde, wäre mancher Sturm nur ein laues Lüftchen.
(Die Fragen stellte Julia Heinz)
Für den Verfasser eines shitstorm entsprechenden Kommentares hat es also durchaus Konsequenzen, die er sich bewusst machen sollte, denn auch Anonymität im Internet ist ein Trugschluss, der besonders durch die Skandale im Rahmen der NSA-Überwachung aufgedeckt wurde.
Doch shitstorms müssen nicht immer sinnlos sein oder zur Lynchjustiz aufrufen. Es gibt auch Akteure, die gezielt shitstorms lancieren. Ein gutes Beispiel für solch ein Szenario ist der Shitstorm aus dem Jahr 2011 gegen das Unternehmen 02. Ein Blogger beschwerte sich wegen Netzproblemen bei dem Unternehmen und bekam als Antwort, dass es sich um einen Einzelfall handele. Daraufhin startete er den Shitstorm mit der Aktion „Wir sind Einzelfall“, woraufhin sich tausende Betroffene daran beteiligten. Das Unternehmen musste eingestehen, dass es sich wohl nicht nur um Einzelfälle handelte und versprach sein Netz auszubauen. So half der Shitstorm Druck aufzubauen und das Unternehmen zum Handeln zu zwingen. Dies geschah in den letzten Jahren bei vielen Unternehmen und beinhaltet aber auch immer eine wenigstens temporäre Rufschädigung für die Betroffenen. Überdies stellt sich jedoch die Frage, ob es immer ein shitstorm sein muss, der zum dem gewünschten Ziel führt, da dieser oft keine konstruktive Kritik enthält, sondern meist aus beleidigenden Äußerungen besteht. Reicht es nicht aus konstruktiv und vernünftig im Internet über Thematiken zu diskutieren?
Anscheinend nicht. Kirsten Staudt schrieb in ihrem Artikel „FAZ-Shitstorm: Davor steckt meist kein kluger Kopf“, wie aus vermeidlich seriösen Plattformen wie faz.net eine dumme, beleidigende und sexistische Plattform wurde- mit Beschimpfungen, logischen Verdrehungen und Stilblüten, indes sich manche Verfasser nicht schämen dafür mit ihrem Namen einzustehen. Sie spielte dabei auf den Werbeslogan der FAZ „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ an, so dass sie feststellen musste, dass zumindest vor dem Bildschirm meist kein kluger Kopf zu stecken scheint.
Dennoch muss man heutzutage einschätzen können, ob die Empörungswelle substanziell zur öffentlichen Diskussion gehört und ein bestimmtes Ziel verfolgt oder es sich um einen Tsunami der inhaltslosen Beleidigung handelt oder aber ein Sturm von rechtswidrigen Äußerungen entstanden ist, der strafrechtlich zu verfolgen ist.
Der shitstorm, der durch das Tierquäler-Video ausgelöst wurde gehört dann wohl eher in die dritte Kategorie und kann daher auch strafrechtliche Folgen für einige Verfasser von Kommentaren mit sich bringen, da die Polizei und die Staatsanwaltschaft ermitteln.
Es ist demzufolge wünschenswert ein besseres Bewusstsein sowie eine bessere Einschätzung der Konsequenzen bei Nutzern von sozialen Medien und Internetplattformen zu schaffen, so dass sie vernünftiger bei dem Verfassen von Äußerungen und Kommentaren umgehen und sich vorher überlegen was und ob sie im Internet veröffentlichen wollen. Denn neben den Konsequenzen und Rufschädigungen für Andere, hat es auch Folgen für den Verfasser, der mit seinen Veröffentlichungen im Internet von beispielsweise dem Arbeitgeber, Bekannten, Freunden oder der Familie in Verbindung gebracht wird und somit auch sein Ruf geschädigt werden kann. (jkh)
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