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Nachricht vom 08.11.2014    

Der Dierdorfer Uhrturm stand im Mittelpunkt

In seiner Reihe „Dierdorf früher“ machte der Kulturkreis Dierdorf am Freitag, 7. November, den mittelalterlichen Uhrturm zum Thema des Vortragabends. Aus vielen Gründen ist der Uhrturm als Mittelpunkt der Stadt anzusehen.

Christian Kinzing, der zur Freude des Publikums höchstpersönlich in der Alten Schule erschien. So sah es auf den ersten Blick aus. Fotos: Wolfgang Tischler

Dierdorf. Karl-August Heib vom Kulturkreis begrüßte in der Alten Schule viele interessierte Mitbürger, die an den Beiträgen der fünf Referenten Freude hatten. Erwin Kuhn, der als Moderator durch die Veranstaltung führte, verdeutlichte die Zeitreise durch die mehr als 660 Jahre alte Geschichte Dierdorfs am Beispiel des Uhrturms, der stumm und stabil alle Wendungen und Wirrungen der Geschichte miterlebte.

Kuhn begann mit seinen Ausführungen im Jahr 1337, im „finsteren Mittelalter“, das der Landbevölkerung erbärmlichstes Leben abverlangte, während die Stadt ein ganz anderes, sichereres Leben ermöglichte. Das sorgte in Kombination mit der stattfindenden Klimaerwärmung und dem Anstieg der Bevölkerung für eine Landflucht. Dierdorf wurde wie alle mittelalterlichen Städte an einem Flusslauf gegründet und ringförmig mit einer Stadtmauer gesichert, die an vier Türmen Tore hatte. Diese wurden abends geschlossen, was immer wieder Torschlusspanik verursachte.

Wie Erwin Kuhn, illustrierte auch Dr. Hans Herrmann Heydorn seinen Beitrag mit historischen Zeichnungen und Stichen. Heydorn erläuterte die Architektur und Funktion des Turms. Gebaut aus massivem heimischem Material, war der Wehrturm mit seiner engen überdeckten Wendeltreppe in der Mitte gut zu verteidigen. Der Uhrturm überstand zwei verheerende Brände. Der Brand des Jahres 1872 vernichtete fast die ganze Stadt, daraufhin gestaltete der Rat die Stadt größer mit einem Marktplatz und erweiterte das Stadtgebiet. Dadurch war der Turm nicht mehr am Außentor sondern in der Stadtmitte. Der Turmwächter in seiner Turmstube hatte die Aufgabe, auszuspähen und zu warnen. Er war das Auge des Nachtwächters, trotzdem zählte seine Tätigkeit zu den unehrlichen Berufen. Erwin Kuhn überraschte die Zuhörer mit einer Demonstration des historischen Dierdorfer Sprachrohrs, das vom Neuwieder Museum ausgeliehen worden war.

Die Stadtuhr, die nicht in der Kirche sondern im Turm installiert wurde, gilt als selbstbewusstes Wahrzeichen der Städter. Die Glocke, die die Viertelstunden anzeigt, wurde einst aus Steimel „entführt“, weshalb das Glöckchen nach einer Anekdote stets voller Heimweh jammert. Das Holzwerk in der Turmhaube ist nach Befund des Architekten Heydorn renovierungsbedürftig. Heydorn, der im Schatten des Uhrturms geboren und aufgewachsen ist, appellierte an die Mitbürger, in einer Zeit, in der sich die Ortskerne entleeren, die das Ortsbild prägenden Bauwerke, die Dierdorf ein Gesicht geben, wert zu schätzen.

Kuhn skizzierte die Auswirkungen des dreißigjährigen Krieges, als marodierende Heere durch die Stadt zogen und die Folgen der Inquisition. Von 1629 bis 1653 wurden im Turm im so genannten Hexenkeller über sechzig Frauen als Hexen gefoltert und gequält. In diesem finstersten Kapitel des Uhrturms spielt die Erzählung „Funkenflug“ aus dem „Mirakelbuch“. Autorin Michaela Abresch nahm bei einer stimmungsvollen Lesung die Zuhörer mit in das Jahr 1650.

Die folgende Jahrhundertwende brachte das Zeitalter der Aufklärung. Zu den Erfindern der Epoche gehörte Christian Kinzing, der zur Freude des Publikums höchstpersönlich in der Alten Schule erschien, um aus seinem Leben zu erzählen. Er berichtete, dass er ursprünglich Müller auf der Oberen Mühle in Rengsdorf gewesen sei, der mit vielen zu pflegenden Zahnrädern zu tun hatte. Weil er aber zweimal jährlich mangels Wasser nicht in der Mühle arbeiten konnte, fand er im Bau einfacher Bürgeruhren eine Ersatztätigkeit. Zunächst ließ er sich die Zahnräder aus dem Bergischen Land liefern, bald fertigte er diese selbst an. Weil die Nachfrage stieg, gab er die Müllerei auf und richtete in Neuwied eine Werkstatt ein, in der zwei Schwiegersöhne und ein Bruder beim Uhrenbau halfen. Die Uhrendynastie arbeitete schließlich gewinnbringend mit der Manufaktur Röntgen in Neuwied zusammen.



Kinzing, alias Uhrmachermeister Walter-Friedrich Schmidt, erklärte, dass die Dierdorfer Uhr durch ein Stangenwerk mit drei Geschossen und schweren Gewichten angetrieben wird. Das Pendel, das jede Sekunde schwingt, musste früher täglich mit der Hand aufgezogen werden. Dazu kletterte der Dierdorfer Uhrmachermeister Josef Klein, jeweils 71 Stufen hoch. Klein entwickelte deshalb die Idee, das Uhrwerk zu elektrifizieren. Zusammen mit Paul Schütz tüftelte er die elektronische Feinregulierung aus. Deren Präzision zollte Schmidt höchste Anerkennung: Das Ankerrad der sehr gut gepflegten Uhr wird alle sechs Sekunden angehalten, der neue Impuls kommt per Funk. So ist die alte Turmuhr die genaueste Uhr in ganz Dierdorf. Schmidt meinte: „Dierdorf kann sich „von“ schreiben, so eine wundervolle Uhr zu haben!“

Die neuste und zeitgemäße Funktion des Uhrturms stellte „Uhrtürmer“ Ulrich Christian vor: 1976 kehrte wieder Leben in den Uhrturm ein, weil der Turm zur Galerie umgestaltet wurde, in der regelmäßig Ausstellungen stattfinden. Die Gründungsmitglieder Hans Hermann Heydorn, Winfried von Heesen, Carsten Fuchs, Karl-Heinz Noll, Uwe Langnickel und die Brüder Boehle investierten jeder 100 Mark und viel Arbeitskraft in das Unternehmen. Heute kümmern sich die acht Uhrtürmer Ulrich Christian, Helga Gans-Eichler, Uwe Langnickel, Axel Riedrich, Helmi Tischler-Venter, Wolfgang Tischler, Wolff-Achim Hassel und Karl-Heinz Dominicus um die Galerie und organisieren drei bis vier Ausstellungen pro Jahr.

Christian zeigte an Bildbeispielen, dass in den vergangenen 38 Jahren Vieles geboten wurde, auch Flohmärkte, Konzerte, Lesungen und Austausch mit ausländischen Künstlern waren Teil der Aktivitäten. Ein Höhepunkt war 1996 die Verleihung des Kommunalen Kunstpreises durch den Ministerpräsidenten Kurt Beck. Christian zitierte Landrat Rainer Kaul, der den Uhrturm als „kulturelles Kleinod im Herzen des Westerwaldes“ bezeichnete. Am Freitagabend, 28. November um 19 Uhr nach der Christmarkteröffnung wird die offene Tür wieder zum Besuch des Uhrturms einladen. Dann stellen die Uhrtürmer mit Gästen neue Kunstwerke aus.

Die Spende beim Ausgang des Vortragabends wird der Galerie im Uhrturm zugutekommen. Beim Kulturkreis können Bastelbögen und Skript zum Uhrturm zu geringem Preis erworben werden. Helmi Tischler-Venter


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