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Nachricht vom 13.03.2015    

Interessanter Vortrag über Hexenprozesse in Dierdorf

Die Schlussveranstaltung zum Thema „Uhrturm“ des Kulturkreises der Stadt Dierdorf stand unter dem Titel „Sag, was ich gestehen soll“. Referentin Dr. Giesela Born-Siebicke vermittelte anschaulich Hintergründe und Verlauf der Hexenprozesse im Dierdorfer Raum.

Referentin Dr. Giesela Born-Siebicke. Fotos: Helmi Tischler-venter.

Dierdorf. Das Thema interessierte nahezu hundert Leute. Karl-August Heib vom Kulturkreis freute sich, so viele Menschen im Festsaal der Alten Schule begrüßen zu können trotz des beklemmenden Titels, der die Verzweiflung und Schmerzen der Angeklagten ahnen lässt.

Dr. Born- Siebicke eröffnete ihren Vortrag mit dem Beispiel der Bürger von Kurtscheid, die 1546 die Grafschaft Wied verließen und ihre elf Häuser auf die kurkölnische Seite verlegten, um den vom Landesherren angeordneten Protestantismus zu vermeiden. Ihr Antrieb war ihr christliches Weltbild, das unbedingte Verlangen, im richtigen Glauben zu leben, um nicht in Fegefeuer und Hölle zu enden. Die kleinteilige politische Landkarte der Zeit zeigt, dass die Grafschaft Wied das einzige calvinistische Territorium am Mittelrhein war. Der Graf musste seine Untertanen ziehen lassen.

Hermann II zu Wied war ein frommer Mann, der gegen Aberglauben ankämpfte, aber die Menschen wurden immer fanatischer, sodass der Graf schließlich 1629 eine Hexenverordnung erließ, die auch dem Hexenausschuss in Dierdorf eine juristische Ordnung gab.

Die Referentin schlug dann den großen Bogen über die politisch-theologischen Verhältnisse im mittelalterlichen Deutschland und Europa, auf deren Hintergrund die Hexenprozesse gesehen werden müssen. Sie erläuterte den Hexerei-Begriff, der von 1430 bis 1780 als Tatbestand existierte, aber nie eine einheitliche Vorstellung beinhaltete. Seine Wurzeln reichen bis weit in die Antike zurück mit helfend-heilenden und bedrohend-vernichtenden Hexen. Die Vorstellungen lebten in der christlichen Zeit weiter, wurden jedoch als Aberglaube abgetan.

In der Inquisition änderte sich die Hexenvorstellung. Hexerei war nun Teufelsanbetung, die konsequent als gegen Gott gerichtete Tat verfolgt wurde. Volksmagie und theologische Praktiken vermischten sich. Die Ordnung musste durch die weltliche Gerichtsbarkeit wieder hergestellt werden.

Hexen und Juden wurden verfolgt und ausgegrenzt, der „Hexensabbat“ ist aus Judenprogromen abgeleitet. 350 Jahre lang wurde Hexenverfolgung mit dem Vorwurf betrieben: „…demnach durch die teuflische Zauberei die heilige Majestät Gottes zum höchsten beleidigt und stattdessen den Teufel gleichsam angebetet und Menschen und Viehe viel schadens zugeführt wird…“

Teufelsanbetung und Schaden zufügen waren die Kriterien für die Anklage und Jedermann konnte als Hexe oder Teufel bezichtigt werden, Mann, Frau, Schwester oder Tochter. Unerwartetes Unglück wurde auf einen Sündenbock zurückgeführt: „Es müsste doch mit dem Teufel zugehen…“

Unter den Opfern waren sehr viele Frauen gemäß der Doktrin, dass seit dem Sündenfall Frauen dem Teufel weit weniger Widerstand entgegensetzen könnten als Männer. In Stichen der Künstler Peter Binsfeld, Albrecht Dürer und Hans Baldung Grien, die aufgrund der neu entwickelten Drucktechnik Verbreitung fanden, belegte Dr. Born- Siebicke die mittelalterliche Vorstellung von weiblichem Hexenflug, wildem Wetterzauber, beängstigender Teufelsanbetung und erotischer Teufelsbuhlschaft. Da es gleichzeitig die Vorstellung der idealen edlen Frau gab, die von Minnesängern besungen wurde, reicht Frauenhass als Begründung nicht allein aus. Auch Kinder wurden verbrannt und die Prozesswellen fegten ohne Rücksicht auf Stände durch das Land.

Auch die Frage „Warum?“ kann nach Ansicht der Fachfrau nicht schlüssig beantwortet werden. Der Hexenglaube sei vielschichtig, es könne kein Muster nachvollzogen werden. Die Hexenbulle von Papst Innozenz VIII und der durch den Buchdruck verbreitete „Hexenhammer“ des Dominikaners Heinrich Kramer leiteten die Hexenverfolgung ein. Gleichzeitig gab es juristische Schriften dagegen, die aber keine Wirkung hatten.



Deutschland: „So vieler Hexen Mutter“, betitelte Friedrich Spee die deutschen Lande, in denen tausende Menschen verfolgt und vernichtet wurden, weil die Untertanen dazu drängten, dass vor Ort Hexenprozesse geführt wurden wie in Dierdorf. Begünstigt wurde die Verfolgung durch die „kleine Eiszeit“, eine Klimaverschlechterung, die dazu führte, dass die Grundnahrungsmittel über mehrere Jahre erfroren. Die Hungerkrise im Jahr 1570 war ein Markstein der Entwicklung hin zu wettermachenden Hexen. Die Lücke zwischen Reichsrecht und theologischer Verurteilung wurde durch Sonderrecht geschlossen. Todesurteile wurden wegen bösem Willen und Pakt mit dem Teufel gesprochen. Bei Hexerei und in Glaubenssachen wurde eindeutig die Schuld vorausgesetzt. Die Prozesse dienten dem Zweck, die Schuld zu bestätigen und die reine Beschuldigung reichte aus.

Die Referentin betonte, dass zur Hexenverfolgung die Verfolgungsbereitschaft von unten und der Verfolgungswille von oben zusammenkommen mussten. Köln, Kurmainz und Kurtrier waren die Spitzenzentren der Verfolgung, begünstigt durch Hunger, Pest und den alles vernichtenden dreißigjährigen Krieg. Hexenverfolgung gab es auch in calvinistischen Landen.

Hermann II zu Wied verordnete „Ausschüsse“, für die Hexenverfolger wegen „gradigkeit, herzhaftigkeit und verschwiegenheit erwählet“ wurden. Die Ausschüsse tagten in lokaler Autonomie und Verantwortung und waren, da die Hexen auf eigene Kosten verurteilt wurden, Instrumente der Bereicherung für Amtsschreiber, Notare und Juristen. Die Prozesse führten zur Verarmung ganzer Familien, sie kosteten nicht selten den Gegenwert von vier bis sechs Rindern oder zwei bis drei Pferden. So drängten oft die Familienangehörigen selbst auf ein Geständnis, um Kosten und Belastung für die Familie zu reduzieren.

Schließlich zeigte Dr. Born- Siebicke am Fall der „Hexe von Dierdorf“, Agathe Rothbach, einer jungen Bäuerin, die einen Säugling zu Hause hatte, dass der Ausschuss keine Verteidigung vorsah, sondern ein Schuldgeständnis brauchte, das man durch Folter erzwang, um den Prozess ordnungsgemäß abzuschließen. Fatal war die immerwährende Aufforderung, um des Seelenheils willen die Wahrheit zu sagen. Die Beschuldigte hatte Angst, mit einer Lüge in den Tod zu gehen. Das machte eine Zeitlang die Folter erträglich. Während drei Monaten Kerker wurde Rothbach zwölf Mal gefoltert. Ihr Mann beklagte sich, dass sich das Ganze so lange hinzog. Der Scharfrichter dokumentierte in seiner Rechnung 22 in Dierdorf hingerichtete Opfer, darunter Agathe Rothbach, die verbrannt und wahrscheinlich verstreut wurde. Die Verurteilten wurden schnell zur Verbrennung gebracht. Da es Christenpflicht war, die reuigen Sünder auf dem Weg in den Tod zu begleiten, nahm die Verbrennung oft Volksfestcharakter an.

1652 nahmen die Prozesse ein Ende, als die Frau des Schneiders Lang der Hexerei angeklagt wurde und Lang vor das Reichskammergericht in Speyer zog, um einen ordentlichen Prozess zu verlangen, in dem seine Frau ihre Unschuld beweisen durfte. Es erging die Anweisung, das Gericht mit unabhängigen Richtern zu besetzen. 1630 war eine Schrift von Spee gegen Hexenwahn erschienen. Der bewirkte ein langsames Umdenken, denn Spee bezeichnete Hexenprozesse als ein Verbrechen gegen die Schöpfung Gottes.

Dr. Born- Siebicke betonte, dass Aberglaube immer noch tief verankert sei im Volk. Sie appellierte an die Zuhörer: „Hüten Sie sich vor Feindbildern, Stereotypen und einfachen Lösungen. Sie sind sehr oft vergleichbar mit den Hexenverfolgungen!“ (htv)




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