Die stille Tat - eine Ostergeschichte
Mit dieser Ostergeschichte möchten wir all unseren Leser ein frohes Osterfest wünschen. Sie symbolisiert all das, was wir zu Ostern feiern - Nächstenliebe und Opferbereitschaft - auch und gerade von denjenigen, von denen wir es am wenigsten erwarten.
Vor langer Zeit, als Ostern für die meisten Menschen noch eine Gedächtnis- und keine Geschenkefeier war –, weit bevor bunte Plüschküken und lilafarbene Schokoladenhasen die Supermarktregale bevölkerten -, nahte auch in einem kleinen Dorf im oberen Westerwald nach der langen Fastenzeit das Osterfest. Die Kinder des Ortes fieberten ihr, wie jedes Jahr entgegen, denn die Erwachsenen waren zu dieser Zeit meist guter Laune und so manche Leckerei, ein Stück vom Osterzopf oder ein Ei, sprang dabei heraus.
Der Regen hatte die Felder und Wege rund um das Dorf in den Märzwochen zwar aufgeweicht, aber nun kam die Sonne heraus und wärmte die Kinder, als sie zu ihren Streifzügen in den Wäldern und Feldern aufbrachen. Nur einen Ort mieden sie, denn unweit des Dorfes, auf einer kleinen Anhöhe am Waldrand stand eine recht windschiefe Hütte. Der Zahn der Zeit hatte seine deutlichen Spuren an ihr hinterlassen, die Balken waren teils morsch und brüchig, mit Moosen bewachsen, die Fensterläden hingen schief in ihren Angeln und auch sonst sah diese Behausung wenig einladend aus. Waren es zwar keine wohlhabenden Leute, die Bewohner dieses Dorfes, so hatte doch jeder zu Beginn des Frühlings ein paar Pfennige übrig, um die Balken seines Hauses neu zu streichen, das Instand zu setzen, was der Winter zerstört hatte und fast an jeder Hütte begrüßten blühende Zweige und Blumen die warmen Sonnenstrahlen.
Nicht jedoch an dieser Hütte, sie sah zu jeder Jahreszeit traurig und verlassen aus. Das sie dies nicht wahr, wussten die Buben des Ortes allzu gut, denn oft schon hatten sie den griesgrämigen alten Mann, der in ihr wohnte, aus sicherer Entfernung beobachtet. Er war nichts sehr gesprächig und auch die Erwachsenen wussten nicht viel Gutes über ihn zu berichten. Stumm brachte er Ihnen die Kerzen, mit deren Herstellung er sich sein Brot verdiente, in die Häuser und ging grimmigen Blickes wieder seiner Wege. Die Dorfgemeinschaft mied ihn, genau so, wie er sie mied, die Kinder jedoch hatten regelrecht Angst vor ihm und so manche Mutter schloss die Maßregelung ihres Nachwuchses nicht selten mit einem „...sonst kommt dich der Kerzenzieher holen“.
Bemerkte er die spielenden Kinder, so wandte er sich ab. Kamen sie seiner Hütte beim spielen einmal zu nah, gestikulierte er wild mit den Armen und verscheuchte sie mit einer bedrohlich aussehenden Mistgabel in der Hand. Unweit der Hütte gab es einen kleinen Weiher, nicht größer als ein Viertel eines Ackers, aber er reichte, um am Ufer mit Zweigen Flöße zu bauen und im Sommer darin zu baden. Der Weg dorthin führte ausgerechnet an der Hütte vorbei und so blieb der Kinderschar nichts anderes übrig, als den Alten zu erdulden.
Vier Tage vor Ostern änderte sich auf einmal das Wetter. Das war nichts ungewöhnliches zu dieser Zeit, in der der Frühling noch nicht so recht an Kraft gewonnen hatte und sich leicht vom, zwar geschwächten aber noch nicht vollends besiegten, Winter verdrängen ließ. Es wurde bitterkalt, Schnee viel über Nacht und am morgen waren die Wassertröge von einer dicken Eisschicht bedeckt. In den nächsten Tagen blieb es kalt und als die Buben am frühen Morgen des Ostersonntags zum Weiher liefen, war dieser von einer dicken Eisschicht bedeckt. Fröstelnd, aber voller Energie, wagten sie sich auf die Eisfläche, zwei von ihnen zogen gar bis zur Mitte des Weihers ihre Kreise.
Doch das Eis war zwar dick, aber noch jung und als sie einbrachen, zeigte sich ein Ausdruck ungläubigen Erstaunens auf ihren Gesichtern, bevor sie im eiskalten Wasser untertauchten. So schnell sie konnten und starr vor Entsetzen rannten die anderen Buben in Richtung Dorf. Der Schreck schnürte ihnen nicht lang die Kehlen zu, bald schrien sie laut, doch noch waren sie zu weit weg, als das die Dorfbewohner sie hätten hören können. An der Hütte angelangt rannten sie weiter, doch auch der Alte, weder stumm noch taub, hatte ihre Rufe vernommen und unbemerkt rannte er mit einer alten, schiefen Holzleiter zum Unglücksort. Die Buben bemerkten ihn in ihrer Hast nicht.
Als die Bewohner des Ortes mit von der kalten Luft brennenden Kehlen am Weiher ankamen, fanden sie nur die zwei Buben, die bibbernd und mit durchnässten Kleidern am Ufer lagen. In der Mitte des Weihers war das Loch, in das sie eingebrochen waren, noch größer geworden und in ihm schwamm die alte Holzleiter. Die Zeit verging, auch in diesem kleinen Dorf hielten nach und nach bunte Plüschküken und lilafarbene Schokoladenhasen Einzug. Doch in diesem Dorf, in keinem anderen, brennt bis heute in jedem Haus in der Nacht zum Ostersonntag eine Kerze. (EK)
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