Kalle Pohl in Waldbreitbach oder Selfi in Delfi
Kalle Pohl hat seit 55 Jahren seine Fans, zunächst als Neunjähriger nur in der elterlichen Garage, aber offensichtlich auch aktuell in Waldbreitbach. Mit seinem neuen Programm „Selfi in Delfi“ füllte der vielseitige, feinsinnige Künstler am Sonntagabend, 25. Oktober, den Rittersaal im Hotel zur Post.
Waldbreitbach. Geschäftsführer Hajo Reuschenbach wies darauf hin, dass mit Pohls Auftritt die 17. Saison „Wir machen Theater“ im Hotel zur Post startet. Somit werde die Reihe im nächsten Jahr volljährig. Die laufende Saison könne noch verantwortungsfrei genossen werden.
Kalle Pohl, der vor drei Jahren zum letzten Mal auf der Waldbreitbacher Bühne stand, lieferte Genuss am laufenden Band. Das gelang ihm ohne große Gestik und Plattitüden. Mit leichtem Schmunzeln analysierte er messerscharf die menschlichen Verhaltens- und Ungehaltensweisen, die er mit semantischer Präzision und Lust an Wortspielereien dem Auditorium an die Ohren warf. Für „Kalauer“ kritisierte er sich prompt selbst. Das „Selbst“ in seiner zeitgemäß offensichtlichen Form des „Selfie“ ist für Pohl logischer Ausdruck: „Man fotografiert den Menschen, den man auf der Welt am liebsten hat.“ Das Handy ist jedoch schon lange kein reines Telefon mehr, immer mehr Features erweitern seine Funktionen. Pohl wartet darauf, dass man mit den Kleingeräten eine Darmspiegelung aufnehmen und auf Youtube hochladen kann. Eine wirkliche Lebenshilfe für junge Eltern wäre eine Baby-App, die eine leicht fassliche Betriebsanleitung für das Baby ansagt, wie in „Kalles Baby-Handbuch“.
Bestechend wandlungsfähig in Körperhaltung, Mimik und Stimmführung sprang der Künstler sekundenschnell in die Rollen seiner Kultfiguren „Vetter Hein Spack“ oder „Tante Mimi“. Das überwiegend ebenfalls grauhaarige Publikum erkannte die Wandlungen sofort und ging begeistert mit. Hilfreich war auch, dass die Zuhörer sich noch an den ersten Fernsehkoch Clemens Wilmenrod mit seinem Hawaii-Toast und an die prüde Moral der Fünfziger Jahre erinnerten und sofort wussten, welchen Zeitgeist der Kabarettist ansprach.
Tragisch-komisch spielte Pohl seinen prolligen Vetter Hein Spack, der eine Studienreise nach Griechenland mitmacht und dann enttäuscht feststellt, dass das Orakel von Delphi nicht mehr in Betrieb ist, von dem er sich doch die Vorhersage der Lotto-Zahlen erhofft hatte. Nicht nur der Reiseleiter, auch ein Elektro-Fachverkäufer reagiert verhängnisvoll arrogant, als Hein für seinen HD-Fernseher ein „schwarzes Kabel mit Nuppsies“ sucht.
Dafür war der pragmatische Vetter in der Lage, Pohls unvollendetes Gedicht „Der Sommervogel“ fertig zu reimen. Mit seinen hintersinnigen Gedichten zeigte Pohl künstlerische Nähe zu Dieter Hildebrandt und Heinz Erhard: „Speisewagen sind Reisewagen, die sich auf die Gleise wagen.“
Lustige Lieder mit Akkordeonbegleitung zum Mitsingen und Mitdenken und Bauchredner-Szenen mit Maskottchen „Dolores“, einem schwarzen Schaf, bewiesen die Vielseitigkeit des Komödianten. Unwiderlegbar logisch erkannte Kalle Pohl die Männer als Opfer und Unbefugte als ausgegrenzte Gruppe. Die Lösung für ein friedliches Miteinander fand er bei den Bonobos, die sich nur um ein Prozent genetisch vom Menschen unterscheiden, in entspanntem Sex mit vielen Partnern. „Männer würden viel lieber shoppen gehen.“
Als „Thema meines Lebens“ bezeichnete Pohl das Musical. Nach einer stimmgewaltigen Arie im Supermarkt an der Käsetheke, entführte er die Zuhörer in ein eigenes Musical mit Nichte Jennifer und Freund Kevin im Opel Corsa in der Savanne, dazu Hein Spack, Tante Mimi, Tarzan und einem Affenchor, alle Rollen gesungen und gespielt von Kalle Pohl. Das große Finale gestaltete er gar als klassisches Ballett.
Begeisterter Applaus motivierte den Künstler zu mehreren Lieder-Zugaben. htv
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