Barocke Stadtplanung: Im Zeichen des Planquadrats
Barock – das ist nicht nur Prunk und Pathos, sondern auch rationales Planen und perfektes Ausführen. Deutlich wird das in den Entwürfen für zahlreiche neue Residenzstädte. Zwar kann sich Neuwied nicht direkt mit den Prototypen barocker Städteplanung wie Mannheim oder Karlsruhe messen, doch sind auch in der Deichstadt deren typische Charakteristika leicht aufzufinden.
Neuwied. Verstärkt brachen sich die neuen städtebaulichen Gedanken in der Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges gegen Ende des 17. Jahrhunderts Bahn, in dessen Verlauf vor allem Baden und die Pfalz, aber auch das Rheinland stark gelitten hatten. „Die Fürsten des Absolutismus, die eine merkantilistische Wirtschaftspolitik betrieben, wagten den Neuaufbau, wollten eigene Leiden und die der Bevölkerung auffangen. An wirtschaftlich bedeutenden Standorten begannen sie das Leben neu zu arrangieren und richteten den Fokus auf den Städtebau.“ Das berichtet Dr. Reinhard Lahr, der Denkmalpfleger der Kreisverwaltung Neuwied.
Das galt auch für das nicht optimal gelegene, von Graf Friedrich III. zu Wied (1618-1698) im Jahr 1653 gegründete Neuwied. Friedrich betrieb eine offensive Ansiedlungspolitik, versprach er doch den Neubürgern freie Religionsausübung und eine zehnjährige Zinsfreiheit. Bauwillige erhielten einen Bauplatz, die Grundstücke lagen bereits in für den Barock typischen Planquadraten und -rechtecken. So entstanden klar strukturierte Blocks. Im Unterschied beispielsweise zu Mannheim fehlt in der Deichstadt jedoch die axiale Ausrichtung auf das Schloss.
Unter Friedrich Wilhelm Graf zu Wied (1684-1737), dem Sohn des Stadtgründers, erlebte die Stadt einen weiteren Aufschwung. Um 1700 zählte Neuwied bereits rund 200 Häuser. Als erstes ließ Friedrich Wilhelm jedoch das im Krieg zerstörte Schloss neu errichten - und zwar in deutlich prunkvollerem, an französischen Vorbildern orientiertem Stil mit typischem Mansardendach. Federführend für die barocke Anlage mit Hauptbau, getrennten Seitenflügeln und einem ausgedehnter Park war der Architekt Johann Julius Rothweil. Der Graf regelte zudem durch eine Bauordnung die städtebauliche Entwicklung seiner Residenzstadt. Innerhalb von knapp vier Jahrzehnten stieg die Zahl der Gebäude auf 356. Sie standen in teils quadratischen, teils (fast) rechteckigen Blocks an der heutigen Schlossstraße, der Rheinstraße, der Kirchstraße (damals Bunte Gasse), der Marktstraße (damals Kirchgasse) und Engerser Straße. Die Karrees, Zeichen barocker Stadtplanung, sind auch heute noch gut zu erkennen.
Graf Johann Friedrich Alexander (1706 - 1791) führte die Residenz schließlich zu hoher Blüte, auch dank der Ansiedlung früher industrieller Produktion. Bestes Beispiel dafür ist das 1738 gegründete Hüttenwerk Rasselstein. Alexander war ein Mann ausgefallener Ideen. Und so führte er 1940 eine Lotterie ein: Für den Einsatz eines halben Guldens konnte man ein schlüsselfertiges Haus gewinnen. 40 Jahre lang „zockten“ die Teilnehmer, um an eigene vier Wände zu gelangen.
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Bereits 1739 hatte der Graf den französischen Ingenieur-Hauptmann De Lancizolle beauftragt, die Stadt rheinaufwärts auszubauen. Neue Karrees zwischen Pfarr- und Friedrichstraße entstanden, auch die Rheinfront schmückte sich mit Neubauten. Später führte der gräfliche Baumeister Behagel die Pläne intensiv weiter. Bis 1790 wurden insgesamt 200 neue Häuser errichtet, das bebaute Gebiet der Residenzstadt hatte sich verdoppelt.
Ein entscheidender Beitrag für diesen Aufschwung war des Grafen Entschluss, im Jahr 1750 die verfolgte Herrnhuter Gemeinde nach Neuwied einzuladen. Die sorgte rasch durch ihre vielfältige Gewerbe- und Handelstätigkeit für Furore: Ofenfabrik, Brauerei, Weinkellerei, weitere Handwerksbetriebe und nicht zuletzt die europaweit bekannte Kunsttischlerwerkstatt von Abraham und David Roentgen entstanden in kurzer Zeit. Doch das war noch nicht alles: Die Mitglieder der Religionsgemeinschaft erweiterten das Stadtbild um das ansehnliche Herrnhuter Viertel, bestehend aus zwei Karrees. Das erste entstand zwischen 1758 bis 1772 an Pfarr-, Kirch-, Friedrich- und Langendorfer Straße und war in schlichtem Barock errichtet. Dieses Karree wurde in den 1970er-Jahren aufwändig restauriert und steht seither unter Denkmalschutz. „Es ist das schönste heute noch zu sehende Karree des Barockalters in Neuwied“, sagt Dr. Lahr. „Ein echtes Aushängeschild für die Stadt.“
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