Ganz großes Theater mit kleinem Budget
Die Freie Bühne Neuwied verzaubert ihre Zuschauer immer wieder. In einer Zeit, in der die Jagd nach Geld, Erfolg und Status immer mehr Platz in unserem Alltag einnimmt, und in der die schönen Dinge immer öfter in den Hintergrund gedrängt werden, erinnern Tammy und Boris Weber eindrucksvoll daran, dass Glück ist, das zu tun, was man wirklich möchte.
Neuwied. Sie schaffen es den kleinen und großen Zuschauern ihrer Stücke unterhaltsame Stunden zu schenken und die Menschen für eine kurze Weile den Alltag vergessen zu lassen und sie in die wunderbare Welt des Theaters zu entführen - trotz oder vielleicht sogar wegen eines kleinen Budgets. Wo andere Bühnen mit großem Gerät und einem Riesenensemble anrücken, da bringen sie ihre Stücke mit Einfallsreichtum, Witz, Spontanität und Herzblut zu zweit auf die berühmten Bretter, die die Welt bedeuten.
Dabei beweisen sie jedes Mal aufs Neue ihre Wandlungsfähigkeit und Vielseitigkeit, wenn sie in die unzähligen Rollen schlüpfen, in denen sie nicht nur spielen, sondern auch singen. Und unabhängig davon, ob sie die kleinen Zuschauer mit der Adaption der berühmten Geschichte vom Regenbogenfisch oder den Olchis unterhalten oder ob die Erwachsenen in die „Mordsgeschichten“ oder den „Timewarp“ eintauchen - jedes Mal entführen sie die Menschen in eine Welt voller Liebe, Tränen, Lachen und Gefühle - etwas, das in unserer Zeit unbezahlbar ist.
Die Freie Bühne Neuwied hat sich in den letzten Jahren deutschlandweit einen Namen gemacht und tritt mit ihrem großen Repertoire auf zahlreichen Kleinkunstbühnen auf. Doch wer verbirgt sich nun wirklich hinter den beiden, die sich so meisterhaft verwandeln können?
Gegründet wurde die Freie Bühne Neuwied im Jahr 2003 von Schauspieler und Regisseur Boris Weber. Tammy Sperlich entstammt einer Künstlerfamilie, denn ihre Eltern betreiben ein Puppentheater mit Großpuppen – eine Tradition, die die beiden in ihren Kinderstücken fortführen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass ihr Berufswunsch die Schauspielerei und der Gesang waren.
Kennengelernt haben sie sich am Theater Koblenz, wo Boris im Festengagement war und Tammy als Gast zur Produktion von Jesus Christ Superstar engagiert wurde. Im folgenden Jahr spielten beide noch in unterschiedlichen Produktionen am Theater der Stadt Koblenz.
Inzwischen sind die beiden seit mehr als neun Jahren ein Paar und selbst Eltern einer fünfjährigen Tochter, die - wer hätte auch etwas Anderes erwartet - im „Regenbogenfisch“ schon mit auf der Bühne steht. Und sie schaffen etwas, was viele sich nicht vorstellen können: Sie verbinden ihren Traumberuf mit ihrem Privatleben, was mit Sicherheit nicht immer ganz einfach ist, denn wer schon einmal den ganzen Tag mit seinem Partner zusammengearbeitet hat, dem ist bewusst, dass das viel Toleranz und Fairness erfordert. Ganz besonders in einem so hochemotionalen Umfeld wie der Schauspielerei gestaltet sich der Alltag mit Sicherheit nicht immer einfach, vor allem wenn ja auch beim besten Willen keine Rede von geregelten Arbeitszeiten sein kann. Trotzdem haben sich die beiden nie von ihrem Traum abbringen lassen und der Erfolg gibt ihnen Recht.
Im Interview haben wir versucht, ein wenig mehr über die beiden Menschen in Erfahrung zu bringen:
Wann war der Moment, in dem für euch feststand, dass ihr keine gutbürgerliche Karriere einschlagen wollt, sondern dass es die Schauspielerei ist, die euer Leben von nun an bestimmen würde?
Boris: Angefangen hat alles bei der Theatergruppe „Inflagranti“ in Heimbach Weis. Dort habe ich mehrere Jahre mitgespielt. Dies weckte den Wunsch, dies eventuell auch beruflich zu machen. Ich habe dann aber doch erst eine Erzieherausbildung gemacht. Dann aber war der Wunsch auf die Bühne zu gehen so groß, dass ich noch eine Schauspielausbildung angehangen habe. Dann hatte ich das große Glück, direkt in ein Engagement am Staatstheater in Wiesbaden zu kommen und so nahm dann alles seinen Lauf.
Tammy: So lange ich denken kann, war für mich klar, dass ich mein Leben dem Theater widmen werde. Klar, wenn man so aufwächst, ist das völlig normal und nichts Außergewöhnliches! Doch als Puppenspielerin mit der Zeit, ich war so zehn/elf Jahre, fiel mir auf, dass nicht die Figuren mich faszinierten, sondern Musik und Gesang und wie kraftvoll sich Gefühle damit ausdrücken lassen. Ich schaute mir alle Musical Filme an und sang täglich vorm Spiegel...und so war das :-)
Wie schafft ihr es, euer Familienleben und den fordernden Job unter einen Hut zu bringen, zumal ihr ja auch fast permanent zusammenarbeitet? Wenn ihr die Wahl hättet – würdet ihr es heute noch einmal genauso machen?
Boris: Das „permanente zusammen arbeiten“ empfinden wir eigentlich gar nicht als so große Herausforderung. Wir harmonieren sehr sehr gut und das nicht nur auf der Bühne. Klar, es kracht während der Proben auch mal, allerdings geht es da aber immer um künstlerische Fragen. Unsere Tochter ist es von klein auf gewöhnt, dass wir ein etwas anderes Leben führen. Sie genießt die viele Zeit, die wir mit ihr verbringen können und versteht dann auch, wenn sie zwischendurch mal zu Oma und Opa muss, wobei sie diese Zeit auch immer sehr genießt.
Tammy: Es gibt aber auch durchaus Dinge, die wir nicht gemeinsam machen. Ich spiele zum Beispiel jedes Jahr im „Schängel“ in der Kulturfabrik in Koblenz mit und ich singe in einer Band. Boris gibt viele Workshops und hat seine Kreisler-Liederabende.
Ob wir alles nochmal genauso machen würden, ist schwierig zu beantworten. Uns beiden fehlt manchmal, mal wieder mit anderen Kollegen zu arbeiten - eine richtige „Theatermaschine“ um sich zu haben. Will heißen Maskenbildner und Kostümbildner und so weiter. Wir machen in der Regel ja alles selber und das ist nicht immer einfach unter einen Hut zu bekommen. So könnten wir uns beide durchaus vorstellen, mal wieder ein Engagement an einem Theater anzunehmen, ohne jedoch unsere Sachen ganz aus dem Blick zu verlieren.
Unter welchen Kriterien wählt ihr eure Stücke und vor allem auch die Lieder aus? Speziell in den „Mordsgeschichten“ gab es eine Menge sehr emotionaler Musicalsongs.
Boris: Oft ist es so, dass wir uns ein Stück überlegen, dann schreibe ich und dann kommt die Musik dazu. Manchmal ist es auch umgekehrt, will heißen, es gibt ein Lied, dass einer von uns beiden unbedingt singen will und dann schaut man, wie man dieses eingebaut bekommt.
Tammy: Wir wählen aber generell nur Lieder aus, die wir auch singen wollen. Lieder, die uns gefallen oder mit denen wir irgendetwas verbinden.
Boris: Die Themen der Stücke sind immer das erste, was wir uns überlegen. Dabei entsteht meistens erst die Grundidee, wo das Ganze spielen soll. Bei den Mordsgeschichten ist es eben ein Filmset, in unserem Westernmusical eine Bar oder die weite Prärie.
Wie lange probt ihr, um ein neues Stück auf die Bühne zu bringen?
Tammy: Das ist sehr unterschiedlich. Die Stücke, die wir für das Abendprogramm produzieren gehen in der Regel etwas schneller als die Kinderstücke.
Boris: Was daran liegt, dass wir den Ablauf mit den Puppen viel mehr festlegen müssen als in den anderen Stücken. Es muss genau passen, wann zum Beispiel wer welche Puppe übernimmt und so weiter.
Tammy: Bei den Abendstücken merken wir, wie gut wir aufeinander eingespielt sind. Meistens improvisieren wir bei den Proben drauf los und haben relativ schnell ein Gefühl dafür, was funktioniert und was nicht.
Boris: So ganz grob kann man aber sagen, dass wir an den Abendstücken so circa vier Wochen proben und bei den Kinderstücken circa sechs Wochen.
Eine Frage, die bestimmt viele eurer Fans brennend interessiert – wie schafft ihr es, euch in Windeseile hinter der Bühne zu verwandeln?
Tammy: Das ist ja ein Part, der vor allem immer mir zufällt. Da Boris die Stücke schreibt, hat er erstaunlicher Weise oft die nicht so schnellen Umzüge. Generell kann man aber sagen, das ist wirklich Übungssache. Man hat manchmal nur Sekunden, um schnell noch eine Perücke aufzusetzen oder das Kostüm zu wechseln. Da muss alles an seinem Platz liegen und die Handgriffe müssen sitzen.
Boris: Ich denke aber, dass gerade dies den Reiz unserer Stücke ausmacht. Die ständige Verwandlung und das permanente Rollenwechseln machen unsere Stücke zu dem, was sie sind.
Wer sich jetzt selber von den Talenten der beiden überzeugen möchte, der hat in der nächsten Zeit reichlich Gelegenheit dazu. Am 22. April gastieren die beiden mit dem „Timewarp“ um 19:30 Uhr in Dernbach im Haus an den Buchen, nur einen Tag später um 15 Uhr mit dem „Regenbogenfisch“ auch dort. In der Folgewoche treten sie am 28. April um 19:30 Uhr mit den „Mordsgeschichten“ in Melsbach auf und wer den „Regenbogenfisch“ in Dernbach verpasst hat, bekommt eine zweite Chance am 29. April um 15 Uhr ebenfalls in Melsbach. AK
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