EHC: Emotion, Dramatik und Diskussionswürdiges im Quadrat
Drei Drittel zu je 20 Minuten reguläre Spielzeit sieht Regel 44 im Regelbuch des Weltverbandes IIHF für eine Eishockeypartie vor. Wie lange zwei Mannschaften und die Schiedsrichter aber brauchen, um diese 60 Minuten zu absolvieren, ist individueller Natur. Am Freitagabend war es fast 23 Uhr, als der Zuschauertross aus dem Neuwieder Icehouse strömte.
Neuwied. Knapp drei Stunden nachdem die Partie in der Regionalliga West zwischen dem EHC „Die Bären" 2016 und den Ratinger Ice Aliens mit der Eröffnungsbully begonnen hatte. 721 Besucher sahen sieben Tore, drei davon gingen in einer Partie mit Emotionen, Diskussionsstoff und Dramatik im Quadrat auf das Konto der Bären, die somit auch das vierte Hauptrundenspiel gegen die Ice Aliens abgeben mussten.
Die Außerirdischen hatten den EHC in dieser Saison schon ein paar Mal nicht gut aussehen lassen, aber diesmal standen sich zwei Teams absolut auf Augenhöhe gegenüber, die einen Vorgeschmack auf die Play-offs gaben. „Ich kann der Mannschaft keinen Vorwurf machen. Wir haben sehr gut gespielt, ich bin zufrieden mit der Leistung", hatte Neuwieds Trainer Daniel Benske trotz der knappen Niederlage nichts auszusetzen. Die Bewertung seines Ratinger Kollegen Achim Johnigk ging in die gleiche Richtung: „Ich habe ein sehr engagiertes, schnelles Spiel mit tollen Fans und zwei Mannschaften gesehen, die sich aufgeopfert haben. Wir hatten am Ende auch das Quäntchen Glück."
Soweit super Werbung für die schnellste Mannschaftssportart der Welt (Johnigk: „Solche Spiele wollen die Leute sehen"). Aber wenn in einer Partie mit sieben Toren die Anzahl der Treffer der der zehnminütigen Disziplinarstrafen entspricht, müssen auch Worte über das Unparteiischen-Gespann verloren werden. „Es gab die eine oder andere Entscheidung, die beide Seiten in Frage stellen können", rätselte Gästecoach Johnigk über die Regelauslegung von Daniel Melcher sowie seinen Assistenten Alexander Moritz und Matthias Flöthner. „Ich bin überrascht, was uns hier jede Woche erwartet. Das heute setzte allem in dieser Saison die Krone auf", schüttelte Daniel Benske den Kopf.
Bevorteilt – und das war in der Summe das einzig Positive – haben die Schiedsrichter niemanden, aber insgesamt blieb Vieles diskussionswürdig. Kompliment an beide Mannschaften: Die Hinausstellungsorgie mit 132 Strafminuten bildete schwierige Voraussetzungen, aber sie schafften es trotzdem, ein hochattraktives Duell aufs Eis zu bringen. Mit viel Dynamik, etlichen Torchancen und Spannung bis zur letzten Sekunde. Die Bären haben sich schon einige Male in dieser Saison als Blitzstarter mit frühen Toren erwiesen.
Diesmal legten die Gäste los wie die Feuerwehr. Nach nur 17 Sekunden und einem Angriff über die rechte Seite erzielte Milan Vanek das 0:1. Das Tor befand sich zum Zeitpunkt des Einschlags zwar schon außerhalb der korrekten Position, weil sich Vanek da jedoch schon im Begriff des Schießens befand, war der Treffer regelkonform. „Das war natürlich kein guter Start", musste Benske zugeben. Aber sein Team legte schnell den Hebel auf Offensive um und war dem Ausgleich einige Male nahe.
Jubilar Willi Hamann scheiterte in seinem 250. Spiel für den EHC mit einem Penalty an Christoph Oster, der danach immer wieder den Beweis antrat, warum er zu den besten Schlussmännern der Liga zählt. Und wenn der 26-Jährige einmal das Nachsehen hatte, rettete ein Kollege. So zum Beispiel in Minute elf: Dennis Appelhans klärte wenige Zentimeter vor der Torlinie den Schuss von Andreas Wichterich. Ratingen blieb bei Kontern gefährlich. Alexander Schneider scheiterte mit einem dieser schnellen Gegenangriffe am Pfosten (15.), und als sich die EHC-Defensive eine Nachlässigkeit in der eigenen Verteidigungszone erlaubte, staubte Thomas Dreischer nach starker Kombination zum 0:2 ab (20.).
Die Benske-Truppe ließ sich von diesen Rückschlägen nicht beirren. „Wir haben im zweiten Drittel 15 Minuten lang super gearbeitet", sagte der Übungsleiter der Deichstädter, die zwei Drei-gegen-fünf-Situationen meisterten und durch zwei Tore von Martin Brabec (24., 28.) egalisierten. Die Freude über den Ausgleich hielt jedoch nur 15 Sekunden. Dann lag Neuwied schon wieder hinten. Stepan Kuchynka drehte sich um Brabec und verwandelte zum 2:3. Drei EHC-Überzahlsituationen brachten in den Minuten danach keinen durchschlagenden Erfolg. Brabecs Schlagschuss an den Pfosten kurz vor der zweiten Pause ließ die Bären-Spieler und -Fans hadern. Nicht zum letzten Mal.
In der 55. Minute schob dann Tobias Brazda die Scheibe auf eine Art und Weise zum 2:4 über die Linie, die aus Neuwieder Sicht nicht dem Regelwerk entsprach. „Kölle hält die Scheibe, und der Ratinger drückt ihn einfach drüber", beschrieb Benske die mehr als strittige Situation, die die Vorentscheidung bedeutete – und das Aus von Köllejan. Der Bären-Keeper konnte seine Emotionen schwer zügeln und erhielt von Melcher seine zweite Disziplinarstrafe, die eine automatische Spieldauerdisziplinarstrafe und damit eine Sperre für das Auswärtsspiel am Sonntag in Soest bedeutet.
Am Freitag bekam er nicht mehr viel zu tun. Zweieinhalb Minuten nachdem sein Einsatz begonnen hatte, winkte Benske seinen Keeper für einen sechsten Feldspieler zur Bank. Der Mut zum Risiko zahlte sich zunächst aus. Sven Schlicht verkürzte zum 3:4 (58.), und als Milan Vanek dann eine Strafe wegen Beinstellens erhielt, machte Schaffrath erneut Platz. Neuwied schoss, kämpfte, rackerte – aber der vierte Treffer sollte nicht mehr gelingen. In der Luft lag die Verlängerung. Diese (maximal) fünf Minuten hätten die Neuwieder Fans dann schon noch gerne gesehen an diesem ohnehin schon langen Eishockeyabend.
Neuwied: Köllejan (ab 55. Schaffrath) – Hellmann, Neubert, D. Schlicht, Wichterich, Morys, Neumann – Fröhlich, S. Asbach, Kley, Jamieson, Hohmann, Brabec, Herbel, S. Schlicht, Etzel, Hamann, Schug.
Ratingen: Oster (Steffen) – Pompino, Appelhans, Schumacher, Scharfenort, Becker, Moch – Moch, Klemmer, Schneider, Hanke, Dreischer, Tobias Brazda, Kuchynka, Fischbuch, Tim Brazda, Vanek.
Schiedsrichter: Daniel Melcher.
Zuschauer: 721.
Strafminuten: 24 + Disziplinarstrafen gegen Sven Schlicht und Dennis Schlicht sowie eine doppelte Disziplinarstrafe und damit automatische Spieldauerdisziplinarstrafe gegen Köllejan : 28 + Disziplinarstrafen gegen Tim Brazda, Tobias Brazda und Appelhans.
Tore: 0:1 Milan Vanek (Appelhans, Fischbuch) 1', 0:2 Thomas Dreischer (Fischbuch, Vanek) 20', 1:2 Martin Brabec (Jamieson, Schug) 24', 2:2 Martin Brabec (Wichterich, Schug) 28', 2:3 Stepan Kuchynka (Schneider, Becker) 28', 2:4 Tobias Brazda (Tim Brazda, Hanke) 55', 3:4 Sven Schlicht (Fröhlich, Jamieson) 58'.
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