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Nachricht vom 25.03.2018    

Zeugnisse jüdischen Lebens und Leidens in Neuwied

Rolf Wüst, verantwortlich für das Projekt „Stolpersteine" im Deutsch-Israelischen Freundeskreis Neuwied, hielt im voll besetzten „Café Auszeit" der Marktkirchengemeinde einen Vortrag über „Zeugnisse jüdischen Lebens und Leidens in Neuwied". In einer ausführlichen Einleitung untersuchte er das Verhältnis der Gesellschaft zum Judentum früher wie heute, das oftmals zwischen den Extremen Ablehnung und Hass einerseits und Idealisierung und übersteigerten Erwartungen andererseits oszilliert.

Foto: Josef Dehenn

Neuwied. Diesem Spannungsverhältnis setzte das Judentum bei allen Emanzipationsbemühungen das Bedürfnis nach Integration entgegen. Wüst äußerte Bewunderung für den unbeugsamen Überlebenswillen in der Zeit des Holocaust und die Bereitschaft Vieler, sich trotz allem später zur Versöhnung durchzuringen. Und er stellt fest: Das Böse ist allgegenwärtig, alltäglich, bereit in jeder Gesellschaft, in jedem Menschen unter bestimmten Umständen hervorzubrechen. Es müsse ständig und willentlich von jedem einzelnen in Schach gehalten werden.

Gestützt auf exemplarische Quellen spannte Wüst den Bogen von den Anfängen der jüdischen Gemeinde bis zur Nachkriegszeit 1948. Aus seiner ersten Quelle, einem Bericht von Julius Geisel 1928 wird deutlich, dass Graf Johann Friedrich Alexander zu Wied nicht nur hehre Ziele mit der Stadtgründung verfolgte, sondern dass die jüdische Gemeinde gute Gründe hatte, sich dem Einfluss und finanziellen Zugriff des Grafen so lange wie irgend möglich zu entziehen. So erklärt sich die lange „Bauzeit" von acht Jahren, die mit der Ergebenheitsadresse des Rabbiners Lazarus Salomon zur Einweihung 1748 ihren versöhnlichen Abschluss fand. In der Predigt des Rabbiners Daniel Einstein zur Wiedereinweihung der Synagoge nach dem verheerenden Hochwasser des Winters 1883 wird dessen Genugtuung deutlich, dass die ganze Stadt in der schweren Zeit zusammenstand, aber auch seine Sorge, es könne den Juden eine Zeit der Intoleranz und Verfolgung bevorstehen.

Aus einer liebevollen Beschreibung der Synagoge in einem Brief von Günter Ransenberg, des einzigen Überlebenden der Familie des letzten Rabbiners, wird das Selbstverständnis der damaligen Gemeinde deutlich, aber auch der Schmerz über den tiefen Verlust durch die Shoa.



Als erste Opferfamilie behandelt Wüst die Kaufmannsfamilie Fritz Cremer, seiner Frau Caroline Thea und der beiden Kinder Philipp Walter und Rosemarie Susanna. Nachdem Geschäft und Wohnung in der Pogromnacht demoliert und der Vater nach einer Haft in Dachau freigekauft worden war, gelang der Familie nach und nach die Flucht in die Niederlande. 1942 wurden sie für zwei Jahre im Durchgangslager Westerbork interniert und von dort nach Theresienstadt, beziehungsweise Dachau deportiert. Vater und Sohn starben in Dachau, Mutter und Tochter wurden von den Russen befreit und konnten nach großen Schwierigkeiten in die USA auswandern.

Auf Grund eines Briefes von Julius Meyer an den Schriftsteller Friedrich Wolf sind wir über das Schicksal der Schaustellerfamilie Meyer hervorragend informiert. Unter größten Entbehrungen und ständig auf der Flucht gelang es ihnen zunächst, dem Unheil zu entkommen. Julius Meyer schildert ausführlich das schreckliche Leben der Familie in den 30er Jahren. Die Eltern wurden im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo die Mutter bald starb; der Vater wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Von der ganzen Familie überlebte nur Julius, der nach dem Krieg erfolglos versuchte, eine neue jüdische Gemeinde in Neuwied zu gründen. Bei Gedenkveranstaltungen auf dem jüdischen Friedhof in Niederbieber 1947 und 1948 blickt er zunächst voller Wehmut, dann in tiefer Verbitterung auf die schwere Zeit und in eine traurige Zukunft. Er beklagt, dass Deutschland nichts gelernt habe.

Mit dieser Mahnung, für eine mitmenschliche, tolerante Zukunft einzutreten, endete der Vortrag.


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