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Nachricht vom 28.04.2018    

Eröffnung von „ww-Lit“ 2018: Schreiben gegen das Vergessen

Auch wenn Autorin Natascha Wodin krankheitsbedingt nicht an der Eröffnung der 17. Westerwälder Literaturtage teilnehmen konnte: Ihr Buch „Sie kam aus Mariupol“, in dem sie gegen das Vergessen anschreibt, hinterließ Eindrücke. Statt Wodin waren Maria Bastian-Erll und Bernhard Robben für die Lesung eingesprungen. Den Auftakt des Abends bildete eine Gedenkfeier am Wissener Mahnmal für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.

Maria Bastian-Erll und Bernhard Robben übernahmen die Lese-Abschnitte aus Natascha Wodins Werk „Sie kam aus Mariupol“ bei der Eröffnung der 17. Westerwälder Literaturtage in Wissen. (Foto: GW)

Wissen. Am Donnerstagabend, 26. April, wurden die 17. Westerwälder Literaturtage am Mahnmal für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter anschließend im Kulturwerk in Wissen eröffnet. Das Kulturwerk als Ort der Eröffnung passte hervorragend, da in diesem Jahr die Literaturtage unter dem Motto „Industrie-Kultur“ stehen. Die Passagen aus dem Werk der Autorin Natascha Wodin „Sie kam aus Mariupol“, wurden aufgrund er Erkrankung der Autorin von Maria Bastian-Erll und Bernhard Robben, der seit 2012 regelmäßig bei „ww-Lit“ die Moderation übernimmt, gelesen. An das dunkle Kapitel der Geschichte des Wissener Walzwerks und die ergreifende „Nachtschicht“ 2015 im Kulturwerk Wissen knüpfte die Eröffnung der 17. Westerwälder Literaturtage an, bei der unter dem Thema „Dunkle Zeiten“ die Zwangsarbeit thematisiert wurde.

Auftakt am Mahnmal
Im Jahre 2015 hielt sich der Zuspruch in der Öffentlichkeit in Grenzen. Die Wissener Eigenart ließ nicht locker und beschäftigte sich in der fünften Nachtschicht mit den Ereignissen der damaligen Zeit. Zwei Leistungskurse Geschichte des Kopernikus-Gymnasiums stießen hinzu, befragten Zeitzeugen und forschten in Archiven. Eine AG des Gymnasiums befreite das Gelände von hochrankendem Efeu und Unrat und machte es damit erst einmal zugänglich. Über die Ergebnisse wurde ein kleiner Film gedreht, der im Anschluss an die Lesung gezeigt wurde. Zum Auftakt am Mahnmal „Auf der Bornscheidt“ kamen rund 50 Interessierte. Huy Duc Luu, Fabienne Löhr, Julia Müllers, Lea Reineking, Schüler des Geschichtsleistungskurses 12 des Kopernikus-Gymnasiums, sowie der Heimatforscher Bruno Wagner erinnerten an das Schicksal der rund 1.500 Zwangsarbeiter die im dortigen Lager auf untergebracht waren.

Anschließend begrüßte Bürgermeister Michael Wagener im Kulturwerk die Gäste. Er freute sich darüber, dass trotz Erkrankung der Autorin viele Gäste gekommen waren und bedankte sich ausdrücklich bei Maria Bastian-Erll von der Programmleitung, ohne deren Engagement das Zustandekommen der Literaturtage nicht möglich sei. „Uns als Wissener lag daran, deutlich zu machen, dass das Erfolgsmodell der ‚ww-Lit‘, dieses Format, das hier in Wissen geboren worden ist, aus Wissen in die Region strahlt, dass wir dort weiter mitwirken können. Wagener bedankte sich beim Landrat des Landkreises Altenkirchen, Michael Lieber, dafür, dass dieses Markenzeichen für den Westerwald und für die gesamte Region weitergeführt werden könne.

Literaturtage sind untrennbar mit Wissen verbunden
Landrat Michael Lieber begrüßte die Eröffnung in Wissen. Schließlich seien die Westerwälder Literaturtage untrennbar mit dem Namen des Gründers, Hanns-Josef Ortheil verbunden. Die drei Westerwälder Landkreise führen die Veranstaltung in gleicher Kontinuität fort. Lieber bedankte sich bei den Sponsoren. „Die ‚ww-Lit‘ ist ein fester Bestandteil im Kulturleben der Region und trägt ein Stück zur Lebensqualität bei. So etwas wird von Menschen gestaltet, nicht nur von Hanns-Josef Ortheil, der die Wurzeln gelegt hat, sondern auch von Frau Bastian-Erll, die diese Veranstaltung erst ermöglicht und immer begleitet“.

Anschließend stellte Bernhard Robben die Romanbiografie von Natascha Wodin vor. Die Autorin wurde in Fürth geboren. Nach dem Suizid der Mutter brachte der Vater sie und ihre Schwester für fünf Jahre in einer Klosterschule unter. Die Mutter der Autorin nahm sich das Leben, als ihre Tochter zehn Jahre alt war. Sie blieb der Tochter bis auf wenige grundlegende Fakten unbekannt, und das, obwohl Natascha Wodin ihre Holzspule immer mal wieder ausgeworfen hat, mal in Richtung Rotes Kreuz und andere Suchdienste, mal in Archiven oder Forschungseinrichtungen. Nie aber konnte sie die Spule zurückziehen und „Da“ rufen, bis sie eines Tages mit dem Namen ihrer Mutter im russischen Internet angelte und einen Treffer landete, ein erstes „Da“!



Schreiben gegen das Vergessen
Natascha Wodin schreibt mit ihrem autobiografischen Roman gegen das Vergessen der ausländischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in deutschen Lagern an. Sie wusste, dass ihre Eltern Zwangsarbeiter waren und über dieses Thema in der deutschen Literatur fast nichts zu finden ist. Aber woher kam die Mutter, und was hatte sie erlebt? Natascha Wodin geht dem Leben ihrer ukrainischen Mutter nach, die aus der Hafenstadt Mariupol stammte und mit ihrem Mann 1943 als „Ostarbeiterin“ nach Deutschland verschleppt wurde. Sie macht, was sehr ungewöhnlich ist, die Recherche zum literarischen Thema, ebenso ihr ihr eigenes Handeln: „Wenn du gesehen hättest“. Unglück, Zerrissenheit zwischen den Kulturen, Ortlosigkeit, Fremde – es sind dunkle Motive, die Natascha Wodins autobiografisch grundiertes Werk bestimmen. Wusste sie doch nicht viel mehr, als dass sie zu einer Art Menschenunrat gehörte, zu irgendeinem Kehricht, der vom Krieg übriggeblieben war. „Sie kam aus Mariupol“ ist ihr siebter Roman. Die Autorin will immer wieder ihre Vergangenheit abstreifen, will kein Russenkind mehr sein, kein Menschenunrat. Als Kind vernichtet sie die letzten Dokumente, die ihre Herkunft belegen, wirft die Holzspule ins Dunkel und muss sie doch mit jedem Satz, den sie schreibt, wieder hervorziehen. Alle ihre Bücher drehen sich um die eigene Geschichte, um das Fehlen einer Vergangenheit, einer Familie deren alltägliches Wunder allein ihr nicht geschah. Fast hatte sie die Hoffnung bereits aufgegeben. „Seit über 20 Jahren war sie tot“, schreibt Natascha Wodin 1983 über ihre Mutter. „Ich werde nie erfahren, wer sie war, sie ist für immer fort“. In einer Sommernacht 2013 holt sie ein weiteres Mal die Spule aus dem Dunkeln, dieses Mal liefert die Suchmaschine einen Treffer und es entblättert sich die ungeheure Geschichte, die Natascha Wodin in „Sie kam aus Mariupol“ zu Papier bringt. Maria Bastian-Erll las eine Passage aus der Biografie, die keiner weiteren Worte bedurfte und der die Zuhörer gebannt lauschten. Akkordeonist Walter Siefert sorgte für die passende, musikalische Untermalung. Im Wechsel stellten Bastian-Erl und Robben Auszüge des fesselnden Buches vor.

Zum Abschluss der gelungenen Eröffnung wurde noch einmal der Film gezeigt, den Schüler des Kopernikus-Gymnasiums 2015 gedreht hatten und der für deutliche Betroffenheit unter den Anwesenden sorgte. Im Foyer des Kulturwerkes waren Arbeiten der Schüler zum Thema Zwangsarbeit ausgestellt. (GW)

Interesse an den 17. Westerwälder Literaturtagen? Lesen hier weiter in den Kurieren:
• Westerwälder Literaturtage 2018: Industrie-Kultur aus allen Blickwinkeln (6. März 2018)



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