Ingo Börchers erklärte in Waldbreitbach die Google-Welt
Traditionell findet die erste Veranstaltung der Theatersaison im Rahmen der Westerwälder Literaturtage statt. Auf der Bühne im Hotel zur Post erklärte am Sonntagabend, 7. Oktober der Polit-Kabarettist Ingo Börchers mit scharfer und flotter Zunge die immer mehr digitalisierte Welt mit seinem Programm „Die Welt ist ein Google".
Waldbreitbach. Der Künstler selbst bekannte nach seinem „automatischen Programmstart“: „Ich hätte nicht Kabarettist sondern Verleger werden sollen, denn ich bin ständig am Suchen.“ Am schlimmsten sei die Suche nach seinem Handy mit dem demütigenden Versuch, per Festnetztelefon das Gerät zu orten, das man dann hört, aber nicht sieht. Der leider überschaubaren Anzahl Zuschauer war dieser Vorgang nur allzu bekannt, genau wie die Erkenntnis: „Wir suchen etwas und finden ständig etwas Anderes.“
Vor „weit über sieben Zuschauern“ erläuterte der Bielefelder den Verlust des Drei-Säulen-Modells: Ausbildung, Beruf, Rente mit voraussehbaren Biographien. Heute muss man viele Entscheidungen treffen, „Identität gibt es nur noch im Plural und gesampelt. Das Smartphone hat das Gerüst von Zeit und Raum vor die Wand gefahren. Man kann nicht nicht-kommunizieren.“
In Zeiten des rasenden Stillstands ist es nur noch wichtig, zu wissen, wo wir was finden, denn die Welt ist eine Google. Suchen ist wichtiger als finden. Die Frage, ob ein Leben außerhalb der digitalen Welt noch möglich sei, verneinte Börchers entschieden und belegte dies mit dem ungeheuren Wertgewinn von Google in den letzten zwanzig Jahren sowie den meist gesuchten Begriffen. Dadurch gelangte der Kabarettist zu der Erkenntnis: „Gott und Google sollten fusionieren, denn beiden geht es um größtmöglichen Einfluss auf Menschen.“ Die Kirche braucht sowieso ein update: Jesus upload mit Google-pray.
Weitere Zeiterscheinungen seien das online-shopping, „Konsumismus“ die neue Staatsform: „Völker, stürmt die Regale!“ und das neue Zauberwort „Gamification“, die Selbstbelohnung im Informationskapitalismus.
Google macht auch multi-morbid, denn der durchgehend kommunikative Netz-Doktor zeigt zuerst die schlimmsten Krankheiten zu Symptomen. Leben hat Nebenwirkungen! Bis 2022 machen Gesundheits-Apps den Gang zum Arzt überflüssig, prognostizierte der Kabarettist und forderte, es sei an der Zeit, renitent zu werden in unseren postfaktischen Zeiten. Börchers entwarf sehr erheiternde eigene Verschwörungstheorien mit Verhaltensvorschlägen zum Ausprobieren von Reaktionen der Mitmenschen.
Die deutsche Leitkultur, die eine Auto-Biographie sei, sei in Gefahr durch die Entwicklung des selbst fahrenden Autos, einer digitalen Kränkung. Was ist „typisch deutsch“? Diese Frage beantwortete Börchers rhetorisch und semantisch treffsicher in der Gegenüberstellung unzähliger Substantiv-Paare. Eine Aufzählung zum Mithören und –denken mit angehaltenem Atem. Fazit: Wir sind ein surfendes, fahrendes Volk geworden. Kinder sind die Experten in Sachen Medienkompetenz, aber Information ist noch lange keine Bildung. Polit-Kabarett vom Feinsten mit Nach-Denk-Wirkung. htv
Am Sonntag, den 21. Oktober um 20 Uhr kommt der österreichische Schauspieler und Kabarettist Werner Brix mit seinem Programm „Zuckerl - best of Brix“ nach Waldbreitbach auf die Bühne des Hotels zur Post.
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