Klimawandel und Katastrophen sind Fluchtursachen
„Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Katastrophen und suchen eine Heimat, die ihnen eine Existenz sichern kann. Tendenz weiterhin steigend. Wir Europäer leben dagegen zumeist in Frieden, Wohlstand und Demokratie und haben darum die Pflicht uns vor Zuflucht Suchende zu stellen, Fluchtursachen zu bekämpfen, also die Ausbeutung von Menschen und der Natur durch uns selbst, tragfähige Zukunftsentwürfe aufzuzeigen und diese Schritt für Schritt voranzubringen. Das ist unser Grundkonsens“, so Egbert Bialk vom Klimabündnis Mittelrhein.
Region. Die Aktiven des breiten Netzwerkes, dem 17 Verbände und Initiativen angehören, haben große Sorge, dass trotz alarmierender Wetterkapriolen notwendige Klimaschutzmaßnahmen weiter auf die lange Bank geschoben werden. Sie führen derzeit darum unter dem Motto „Klimaschutz anpacken!“ eine mehrwöchige öffentlichkeitswirksame Klimatour in der Region durch. Eines der Hauptthemen ist die Klimagerechtigkeit, insbesondere auch die Aufklärung über die Ursachen von Flucht, die oft mit der Klimaerwärmung in Zusammenhang stehen. Gleichzeitig ist eine umweltverträgliche Mobilität überall immer wieder Thema.
Am vergangenen Wochenende (27./28. Oktober)stand zunächst ein Besuch des 25-jährigen Jubiläums beim Bündnispartner Ökostadt Koblenz eV auf dem Programm. Die Vernetzung vieler kleiner ökologischer und sozialer Initiativen ist hier eines der Hauptanliegen. Ökostadt bietet dazu in der Altstadt Büro- und Versammlungsräume an, betreibt ein Repair-Café und engagiert sich selbst neben Energieprojekten vor allem für die Verkehrswende. „Mir persönlich ist es ganz wichtig, dass man in Koblenz endlich sicher Fahrradfahren kann“, betont der stellvertretende Vorsitzende Norbert Wirtz. Der langjährige Vorsitzende Dieter Schulz wurde geehrt und neue Projekte sind in der Vorbereitung, nähere Infos bei www.oekostadt-koblenz.de.
Dazu passte auch gleich die nächste Aktion des Bündnisses, eine sogenannte „critical mass“, also eine Gruppenradtour vom Hauptbahnhof über die Pfaffendorfer Brücke nach Oberlahnstein. Das Besondere ist hierbei, dass eine Gruppe mit mehr als 15 Rädern im Pulk nebeneinander fahren darf. „Wir zeigen auf, dass die Straße nicht nur den Autos gehört und schonen zugleich die Fußwege“, erklärt Quentin Messier vom BUND, der die Gruppe zu mehreren Problembereichen auf der Strecke führte.
Vor der Stadthalle Lahnstein hatte das Klimabündnis einen Infostand zu Kohleausstieg und Energiesparen aufgebaut. Anschließend besuchte man dort den Vortrag von Dr. Franz Alt, der beim GGB zur Klimakrise und deren Folgen, aber auch den Chancen einer Energiewende referierte. „Die Sonne stellt keine Rechnung. Diesen Slogan von Franz Alt kann ich aus eigener Erfahrung nur unterstützen“, resümiert Architekt Achim Theisen, zugleich Aktiver der Naturfreunde Kettig. „Solar- und Windstrom sind klimafreundlich und günstiger als der aus subventionierten Kohle- und Atomkraftwerken. Leider werden aber die Verbraucher oder Hausbesitzer immer wieder desinformiert und mit bürokratischen Hürden vom Stromwechsel abgehalten.“ Das Klimabündnis bietet darum unabhängige Beratung an.
Ein beeindruckender Vortrag zum Thema „Klimawandel und Fluchtursachen“ fand schließlich am Montagabend in Neuwied statt. Im Gemeinderaum der Marktkirche begrüßte Pfarrer Werner Zupp den Klimaexperten Dr. Thomas Bernhard vom BUND Koblenz und Solarenergieförderverein Deutschland SFV. Dr. Bernhard wies auf erschreckende Zahlen hin: „Die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR nennt aktuell 68 Millionen, die weltweit auf der Flucht sind.“ Er betonte dabei, dass es zwar viele komplexe Gründe für eine Flucht geben könne, wie zum Beispiel Krieg, Spannungen zwischen Volksgruppen, Machtmissbrauch oder Kolonialismus. „Dennoch gehen einem Konflikt oft gravierende Verschlechterungen der Lebensgrundlagen voraus. Der sogenannte arabische Frühling, der teils in Bürgerkriege mündete, hatte seinen Anfang im Protest gegen hohe Brotpreise. Eine mehrjährige Dürre war vorausgegangen. 90 Prozent der Fluchtursachen haben laut UNO auch mit Klima- und Umweltkatastrophen zu tun. Das wird mit jedem Zehntel Grad zunehmen. Man befürchtet, dass die Zahl der Flüchtenden bis auf über 200 Millionen steigen wird. Da brauchen wir humane und gerechte Antworten und Konzepte. Das Mittelmeer abzuriegeln und die Menschen ertrinken zu lassen ist keine Lösung“, so Bernhard. Am Beispiel Syrien zeigte er auf, dass auch hier der klimabedingte Verlust der Existenzgrundlage am Anfang des Bürgerkriegs stand: „90 Prozent der Viehherden mussten notgeschlachtet werden. Die Landbevölkerung drängte in die Städte, wo sie vom Assad-Regime mit Härte zurückgewiesen wurde. Assad überließ dann dem IS den entvölkerten Ostteil des Landes und machte den IS-Terror stark. Hinzu kamen Rohstoffinteressen der westlichen Industrieländer.“ Natürlich trugen der Referent und die rege mitdiskutierenden Zuhörer auch Vorschläge und Forderungen für eine Reduzierung der Flucht- und Kriegsgründe vor. Diese reichten von einem radikalen Widerstand gegen Waffenlieferungen oder die Globalisierung und Ausbeutung der Länder des Südens über gemeinsame Proteste auf der Straße wie beim „neuen Hambacher Fest“ bis hin zu Klimaschutz und Solidarität in unserem Alltagsverhalten. „Die Gesellschaft erwartet wirksamen Klimaschutz von den Regierungen. Sie ist in Bewegung. Das zeigen auch die letzten Wahlen. Die Politik sollte diese hoffnungsvollen Zeichen der aktiven und demokratischen Zivilgesellschaft ernst nehmen und wertschätzen“ meinte Egbert Bialk abschließend.
Die Klimatour wird am Freitag um 16 Uhr mit einer Betriebsbesichtigung der Firma Klar in Dernbach/WW. fortgesetzt. Hier stehen die Wasserstofftechnik, das Energiekonzept und die Elektromobilität im Mittelpunkt. Interessenten können sich gerne anschließen. Die Abschlussveranstaltung mit Klaus Brunsmeier, Energiefachmann des BUND-Bundesvorstandes, ist am 7. November im Dreikönigenhaus Koblenz. Informationen und Spendenkonto zu unterstützungswürdigen Klima-Projekten und den weiteren Veranstaltungen der Klimatour siehe auf der Homepage des Klimabündnisses klimaschutz-nord.bund-rlp.de oder telefonisch unter 0261-9734539. Für den 1. Dezember wird zur Teilnahme an der nächsten Klima-Großdemo in Köln aufgerufen. (Egbert Bialk)
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