Lesetipp: „Caligulas Schwager" von Stephan Berry
Untertitel: „Das bemerkenswerte Leben des Höflings Marcus Vinicius“. Marcus Vinicius war Angehöriger einer angesehenen Familie, Senator und verheiratet mit einer kaiserlichen Prinzessin und als Höfling ein gewiefter Taktierer im lebensbedrohlichen inneren Zirkel des julisch-claudischen Kaiser-Machtbereichs. Als seine Ehefrau sich an einem Komplott gegen ihren Bruder Caligula beteiligte, schien sein tragisches Ende besiegelt.
Mainz. Vinicius überlebte die Falle, weil er die Spielregeln der Regierungskunst gut kannte. Er stammte ursprünglich aus Campanien, aus der Stadt Cales (heute Calvi Risorta). Seine Familie gehörte zu den örtlichen Honoratioren. Ihr Aufstieg in den römischen Senat fällt in die Zeit Caesars und seines Nachfolgers Augustus. Die neu ernannten Funktionäre waren bedingungslos kaisertreu. Da der Vater Marcus Vinicius zudem sehr fähig war, wurde er einer der führenden Generäle unter Augustus. Danach betätigte er sich als Redner bei Gericht, eine Tätigkeit, die von vielen rhetorisch versierten Männern aus der Oberschicht ausgeübt wurde. Im Jahr 46 starb Marcus Vinicius.
Aus dem Privatleben der Titelfigur Marcus Vinicius ist bekannt, dass er im Jahre 33 nach Christus von Tiberius mit seiner jungen Enkeltochter Livilla verheiratet wurde, einer Tochter des Germanicus, Neffe und Adoptivsohn des Kaisers. Durch diese Eheschließung wurde er Caligulas Schwager. Seine beiden Schwestern bewegten sich wohl im Umfeld der politischen Opposition. Zudem waren die großen Familien der Aemilier und Domitier verwandtschaftlich mit Vinicius verbunden. Voraussetzungen, die für diesen im macht- und ränkeschmiedenden Römischen Reich alles andere als günstig waren.
Stephan Berry nutzt für seinen antiken biografischen Kriminalroman schriftliche Quellen ebenso wie epigraphisches Material. Dabei erweisen sich nach Berrys Erkenntnis Quellentexte oft als wenig authentisch oder sie tradieren Fehler. Der Autor musste sich mit kritischem Blick durch Berge von römischen Texten arbeiten und deren Glaubwürdigkeit untersuchen, um ein zutreffendes Bild der Lebenszeit von Marcus Vinicius zu übermitteln. Die römischen Historiker waren parteiisch, denn sie waren entweder selbst Senatoren oder hochrangige Vertreter des Ritterstandes, die sich einig waren in der Verdammung von „schlechten“ Kaisern. Außerdem tauchen weltweit falsche Marci Vinicii auf, weil der Name sehr geläufig war. Relevant ist lediglich ein Marcus Vinicius, Sohn des Publius aus der Provinz Poblilia, dem der Autor terrierhaft nachspürte und fand.
Der Gesuchte war im Jahr 15 – ein Jahr nach Augustus Tod - als Militärtribun bei Feldzügen in Germanien unter dem Oberbefehlshaber Germanicus, Neffe, adoptierter Sohn und designierter Nachfolger des Kaisers Tiberius. Marcus war der Legio II Augusta mit Stammlager in Mogontiacum (Mainz) zugeteilt. Er überlebte eine Vielzahl Gefechte gegen die Cheruscer, Bructerer und Marser, aber er war nicht glücklich in diesem unzugänglichen Land mit seinen Wäldern und Sümpfen, lieber hätte er eine ruhige Kugel in Spanien geschoben. Aber es ging für ihn auch in Germanien vor allen Dingen um die Politik in Rom und die Chance, die richtigen und wichtigen Kontakte zu knüpfen. Bemerkenswert ist ein zweifaches Konsulat. Das erste wurde Vincinius unter Tiberius zuteil, das zweite im Jahr 45 unter Claudius.
Einen wichtigen Personal-Zirkel, zu dem auch der Titelheld gehörte, gab es um den Philosophen Seneca herum. Seneca hatte gute Beziehungen zu Caligulas Schwester Agrippina, die ihn zum Mentor ihres Sohnes Nero machte, des späteren Kaisers. Während der Krisenjahre, als es um die Nachfolge des Kaisers Tiberius ging, dessen beide designierte Nachfolger verstarben, hielt sich Marcus Vinicius offenbar aus allen Intrigen heraus. Innerhalb seines Familien- und Freundeskreises rollten allerdings Köpfe. Vinicius überstand auch die Säuberungsaktion nach dem Tod Caligulas. Der Caesar wurde während einer Theateraufführung ermordet, bei der auch Marcus Vinicius anwesend war. Beinahe wäre dieser sogar selbst Kaiser geworden.
Den sehr blutreichen Familienkonflikt um die Caesarenmacht dröselt Stephan Berry in viele Stränge auf. In (farblich abgesetzten) Exkursen beleuchtet Berry die Atmosphäre, die höfischen Verhältnisse mit Intrigen und Machenschaften, in deren Zwängen die Hauptperson steckte. Genau das Material, das heute noch viele bunte Blätter mit hoher Auflage am Leben hält.
19 Abbildungen von Artefakten aus der Caesaren-Ära und die Stammbäume der wichtigsten Akteure veranschaulichen das schwer zu durchschauende Geflecht.
Erschienen ist der gebundene 256-seitige Band im Nünnerich-Asmus Verlag, ISBN 978-3-961760-02-2. htv
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