Nicht alle Vollzeitbeschäftigte können von ihrer Arbeit leben
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist statistisch betrachtet nach wie vor gut, doch die Statistik hat einen gravierenden Schönheitsfehler, denn Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Über 6.500 Vollzeitbeschäftigte können im Landkreis Neuwied nicht von ihrer Arbeit leben und damit sind Urlaubsreisen unmöglich.
Neuwied. Der Bruttolohn von 10,80 Euro ist die nach internationalen Standards in Deutschland geltende Grenze für Niedriglohn. In Rheinland-Pfalz waren 2017 im Jahresdurchschnitt 146.885 Menschen in Vollzeit beschäftigt zu Stundenlöhnen von weniger als 10,80 Euro. Das entspricht 18,6 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten.
Ähnlich sieht es im Landkreis Neuwied aus: 17,1 Prozent Menschen, die in Vollzeit arbeiten, bekommen Niedriglohn. Das sind 6.612 Menschen. „Es ist ein Skandal, dass Menschen in Vollzeit arbeiten und nicht davon leben können, geschweige denn es sich erlauben können, mal in Urlaub zu fahren. Hier stimmt etwas nicht und der Verdienst muss angehoben werden", betont Rüdiger Hof, Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes Neuwied.
Besonders hoch ist der Anteil bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ohne Berufsabschluss (34,7 Prozent), bei Frauen (29,1 Prozent) und damit fast dreimal so viele wie bei den Männern (11,6 Prozent). Bei Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sind es 33,4 Prozent, wie die Grafik zeigt. Niedriglöhne schüren soziale Ängste und Unsicherheiten und verhindern eine fundierte Daseinsvorsorge für das Rentenalter.
Zentraler Punkt ist die Stärkung der Tarifbindung, denn immer mehr Arbeitgeber sind ohne Tarifvertrag – auch durch so genannte Mitgliedschaften ohne Tarifbindung – in den Arbeitgeberverbänden. Stärkung heißt vor allem Erleichterung von Erklärungen zur Allgemeinverbindlichkeit, Verbesserung der Nachwirkung von Tarifverträgen, sowie Einführung von umfassenden Tariftreueregelungen im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe.
Zugleich muss die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden. Denn gerade in den Branchen, die Niedriglöhne zahlen, ist die Tarifbindung extrem gering, wie zum Beispiel in der Gastronomie. Außerdem muss der gesetzliche Mindestlohn perspektivisch auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben werden.
Notwendig ist auch ein deutlich verbessertes Anreiz- und Unterstützungssystem, welches geringqualifizierten hilft, einen beruflichen Abschluss zu erwerben. Denn zu oft gehen niedrige Löhne einher mit niedriger Qualifikation.
Daher fordert Hof alle handelnden Akteure in den Jobcentern, Arbeitsagenturen, aber vor allem auch die Arbeitgeber dazu auf, geringqualifizierten Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten, um ihnen damit den beruflichen Aufstieg und eine anständige Entlohnung zu ermöglichen. (PM)
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