Leserbrief: Neuwied als Schrankenwärter sehen
LESERMEINUNG | Der Fall des Neuwieder Bürgermeisters Michael Mang beschäftigt noch immer unsere Leser. Nachstehend eine weitere Meinung hierzu.
Neuwied. Dass die Neuwieder Politposse an Thüringen erinnert, stimmt meines Erachtens nicht. Durch ungeschicktes Agieren auch der rheinland-pfälzischen Landesparteien wurde „Thüringen 2.0“ konstruiert. Angesichts der uneindeutigen Landesverfassung jenes Bundeslandes hätte die Thüringer AfD sogar die Chance gehabt, staatstragend-konstruktiv zu handeln, Höcke entschied sich für das Destruktive, Desaströse. Ein FDP-Ministerpräsident wurde gewählt. Eine Wahl ist aber etwas Konstruktives, so dass ihr von vorneherein eine Tendenz zur Kooperation innewohnt. Insofern war die Kritik an der gemeinsamen Ministerpräsidentenwahl durch CDU/AfD/FDP berechtigt.
Auch wenn man die AfD nicht mag, muss man ihr indes zugestehen, dass ihr Handeln in Neuwied schlüssig und nicht wirklich Höcke-destruktiv war. Schon die frühe Lucke-Partei ohne „Flügel“ war ein Angebot an wohlstandschauvinistisch ausgerichtete Wähler. Im Sinne seines Wählerauftrags hat AfD-Fraktionsvorsitzender Bringezu in seiner Stadtratsrede demzufolge konsequent die hohen Kosten herausgestellt, die eine Abwahl Bürgermeister Mangs für das klamme Neuwied bedeutet. Und anhand der von ihm geschilderten eingeschlagenen Pflöcke im Hinblick auf ein Weiterwirken Mangs hat die AfD sogar gezeigt, dass sie (vielleicht auch nur vordergründig) politikfähig handeln kann.
Bisher ist, ausgelöst durch die Neuwieder Geschehnisse, in Rheinland-Pfalz bekannt geworden, dass es in Mainz auf Ortsbeiratsebene Kooperationen zwischen AfD und CDU, AfD und Grünen und auch AfD und SPD gab. Es ist eine Frage des Blickwinkels, ob man darüber lamentieren will, Neuwied sei bundesweit negativ in die Schlagzeilen gekommen, oder ob man Neuwied als Schrankenwärter wahrnimmt, der den Blick darauf öffnet, was in diesem Lande auf der kommunalen Ebene an „Berührungspunkten“ der anderen Parteien mit der AfD schon längst passiert. Die Lösung kann demzufolge nicht sein, auf die AfD politparanoid anzuspringen oder alarmistisch dem politischen Gegner mangelnde Kompetenz oder Kumpanei im Umgang mit der AfD vorzuwerfen.
Jeder Einzelfall ist nüchtern zu analysieren. Die Angelsachsen sagen: „Sometimes you win, sometimes you lose.“ In Neuwied ist die AfD in gewisser Weise ein Gewinner. Aber triumphieren lassen können sie nur die anderen Parteien und Gruppierungen.
Siegfried Kowallek, Neuwied
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