Jugendstück „Nipple Jesus“ in passender Umgebung eindrucksvoll gespielt
Von Helmi Tischler-Venter
Die Stadtgalerie Neuwied war Schauplatz der Aufführung von „Nipple Jesus“, einem Schauspiel von Nick Hornby, in dessen Mittelpunkt ein Bild von Jesus steht. Das Ambiente war besonders authentisch, aber die Lokalität ließ wegen den geltenden Abstandsregeln nur ein Dutzend Zuschauer zu. Lajos Wenzel, Intendant des Schlosstheaters begrüßte die wenigen Gäste persönlich.
Neuwied. Für Schauspieler Josia Krug, der mit dem Stück immer wieder in Museen und Galerien auftritt, war die Begegnung mit so wenigen und in direktem Augenkontakt stehenden Zuschauern eine Besonderheit. Die Besucher ihrerseits spürten und genossen die von dem intensiv agierenden Schauspieler ausgehende Energie.
Krug verkörperte den ehemaligen Club-Türsteher Dave, der über seinen neuen Job als Museumswärter grübelt, den er wohl nur erhielt, weil er 1,88 Meter groß und 95 Kilogramm schwer ist und der einzige Anwärter unter 60. Eigentlich wäre er gern Tiger Woods, aber da er keine Qualifikation hat, musste er nach zwei Wochen Arbeitslosigkeit diesen Job annehmen. Als er ausgewählt wird, ein Werk in einem abgetrennten Raum im Südflügel zu bewachen, in dem der Zutritt zu dem „Kunstwerk von kontroversem Charakter“ erst ab 18 erlaubt ist, wundert er sich über die strengen Sicherheitsmaßnahmen. Schließlich handelt es sich bei dem Bild um eine Darstellung von Jesus mit schmerzverzerrtem Gesicht, wie man es aus Kirchen kennt.
Erst bei näherer Betrachtung erkennt er, warum die Museumsleitung mit „massiven Problemen“ rechnet. Anstoß erregen könnte die Tatsache, dass das Portrait eine Collage ist, die aus tausenden weiblichen Brustwarzen besteht, die aus Pornoheften ausgeschnitten wurden. Der Titel des Werks lautet folgerichtig „Nipple Jesus“.
Zuerst ist Dave schockiert und überlegt, welcher miese Typ aus welchem Grund das Bild erstellt haben könnte und warum das Werk schützenswert sein soll. Als er jedoch die junge, frische, freundliche Künstlerin persönlich kennen lernt, lässt sein Widerwille nach. Er beginnt, das Kunstwerk vor seinen empörten Angreifern zu schützen und verteidigt es sogar seiner Frau gegenüber. Er identifiziert sich mit „seinem“ Bild und fühlt sich als Beschützer wichtig. „Man muss darauf achten, was die Anderen denken.“
Der Bild-Bewacher befördert einen schmierigen Eierwerfer sogar gewaltsam zum Ausgang. Genau wegen dieser emotionalen Aktion kann Dave nicht verhindern, dass das Exponat einem Anschlag zum Opfer fällt. Nipple Jesus liegt völlig zerstört am Boden, genau wie Dave. Die Künstlerin dagegen ist gar nicht am Boden zerstört. Denn in Wahrheit ging es ihr gar nicht um das Bild an sich, sondern um die Reaktionen des Publikums darauf, die von einer Videokamera aufgezeichnet wurden und als Film nun selbst zum Ausstellungsobjekt werden. „Ich werde es Intoleranz nennen.“
Auch Dave war nur Teil einer Installation – „ein 1,88 Meter großer Rausschmeißer, der keine Ahnung von Kunst hat“ - und versteht die (Kunst)welt gar nicht mehr.
Obwohl das Jesus-Bild nicht körperlich vorhanden ist, hat man als Zuschauer das Bild genau vor sich, genau wie die empörten, bigotten oder pseudo-objektiven Museums-Besucher, die Josia Krug in seinem einstündigen Monolog variantenreich und anschaulich vorführt. Seine lustigen Versprecher-Abwandlungen des Begriffs „Vernissage“ entlarven das oberflächliche Getue der Kunstszene. htv
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