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Nachricht vom 15.01.2023
Region
Im Grabenkampf zum Thema Bereitschaftspraxen: Kommunalpolitiker im Gespräch
Die Wellen schlugen hoch und Schuldzuweisungen wurden hin- und hergeschoben, als es zwischen den Feiertagen 2022 zu langen Warteschlangen vor Bereitschaftspraxen in der Region kam. Die Kuriere haben Meinungen zu den Umständen und Lösungsansätzen von Kommunalpoltikern aus der Region Neuwied, dem Westerwald und Altenkirchen eingeholt.
Im Grabenkampf zum Thema Bereitschaftspraxen: Kommunalpolitiker im Gespräch. (Symbolfoto / div.)Kreis Altenkirchen/Neuwied/Westerwald. Zwischen den Weihnachtsfeiertagen 2022 kamen wohl viele Themen zusammen, die dazu führten, dass es zu dramatischen Situationen und insbesondere langen Warteschlangen vor den Bereitschaftspraxen kam. Das sowohl auch in Hachenburg, Kirchen und Neuwied. Wir berichteten hier.

Nachdem sich die Lage und die Berichterstattung zu diesem Thema scheinbar etwas beruhigt hat, haben die Kuriere mit Kommunalpolitikern aus der Region gesprochen und sie gefragt, wie sie zur Situation stehen und wo sie Handlungsbedarfe sehen. Im persönlichen Gespräch gaben Landrat Dr. Peter Enders (Kreis Altenkirchen) und die Verbandsgemeindebürgermeister Gabriele Greis (Hachenburg) und Dietmar Henrich (Hamm) Auskunft. Neuwieds Oberbürgermeister Jan Einig sowie der Landrat Achim Schwickert (Westerwaldkreis) ließen uns schriftlich an ihren Meinungen teilhaben.

Wer übernimmt Verantwortung?
Alle sind sich einig: In der Angelegenheit gibt es vieles aufzuarbeiten. So meint Dietmar Henrich, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) müsse besonders auf Schwerpunktzeiträume wie zwischen Weihnachten und Neujahr achten, auch wenn Praxisschließungen erst ab einer Woche zu melden sind. Dennoch mache es keinen Sinn, sich herauszupicken, was augenscheinlich am einfachsten sei. Viele Faktoren seinen zusammengekommen, so etwa neben einem erhöhten Infektionsaufkommen viele gleichzeitige Praxisschließungen. Hier sei in der Vertretungsregelung nachzusteuern.

Gabriele Greis empfindet die geschilderten Situationen vor den Bereitschaftspraxen als hochdramatisch und unerträglich und weist zudem darauf hin, dass eben genau die besagte Infektionswelle auch vor dem Personal in den Krankenhäusern und Bereitschaftspraxen nicht haltgemacht habe, was sicherlich die Situation verschärft habe. Doch "Personal kann man sich nicht aus den Rippen leiern", daher sieht Greis die Verantwortung in der Situation bei mehreren Akteuren von der KV bis in die zuständigen Landesministerien.

Landrat Peter Enders hebt hervor: Bei der aktuellen Situation zwischen den Jahren handele es sich um einen "eklatanten Fall, den die KV zukünftig in den Griff bekommen muss." Es gelte, Entwicklungen an neuralgischen Wochenenden und Zeiten zu beachten. Doch sieht Enders auch das Gesundheitsministerium des Landes Rheinland-Pfalz in der Pflicht. "Als Rechtsaufsicht muss das Gesundheitsministerium Sorge dafür tragen, dass der Sicherstellungsauftrag seitens der KV wahrgenommen und ausgeführt wird." Das bedeutet eine angemessene medizinische Versorgung an 365 Tagen im Jahr.

Hat sich der Mensch als Patient verändert?
Wenn auch nach Aussagen entsprechender Studien die Zahl der Konsultationen bei Ärzten in Deutschland fast doppelt so hoch ist wie etwa in den skandinavischen Ländern, "macht es keinen Sinn, über die Patienten zu schimpfen", erläutert Enders. Vielmehr sieht er eine "ärztliche Führungsaufgabe", die als Beispiel durch mehr Prophylaxe und Vorbeugemaßnahmen einhergehen könne.

Landrat Achim Schwickert erläutert per Pressemitteilung, dass die Kreisverwaltung des Westerwaldkreises in der Funktion als Rettungsdienstbehörde für die Landkreises Altenkirchen, Neuwied, Rhein-Lahn-Kreis und den Westerwaldkreis keinerlei Einfluss auf den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst habe und die Verantwortung bei der KV läge. Jedoch sei als Rettungsdienstbehörde festzustellen, dass es sich bemerkbar mache, wenn sich Patienten an den Rettungsdienst wenden, deren Indikation keinen tatsächlichen rettungsdienstlichen Notfall begründe, sondern im Bereitschaftsdienst der KV behandelt werden könnten. Erschwerend zu dieser Situation stellt Enders fest, dass "Fehleinsätze des Rettungsdienstes zunehmen, da die 116 117 gefühlt zu lange Wartezeiten hat". Er appelliere seit Jahren eine gemeinsame Rufnummer für den Rettungs- und Bereitschaftsdienst für bessere Synergien einzurichten.

Nach Dietmar Henrich gilt es in der Sachlage insgesamt zu beleuchten: "Hat sich am Verhalten der Menschen etwas geändert, sind die Hürden einfacher geworden?" Ihm geht im Übrigen die Leistung der Ärzte und des Pflegepersonals in der Diskussion ein "bisschen unter", die quasi am "Fließband" arbeiten mussten.

Demographischer Wandel - Fachkräftemangel - Lösungsansätze
Neuwieds Oberbürgermeister Jan Einig sieht in der Gesamtsituation "Gesundheitswesen" das Land in der Pflicht, ausreichend Medizinstudienplätze zu schaffen. Und zwar auch, um es der KV zu ermöglichen, den Bereitschaftsdienst entsprechend zu organisieren, wie er mittels Pressemitteilung bekannt gibt.

Insgesamt sei zu überlegen, die Krankenhäuser personell besser aufzustellen, meint Gabriele Greis, zum Beispiel durch neue Bemessungsgrößen zum Personalschlüssel. Dem Fachkräftemangel könne zudem durch finanzielle Anreize entgegengewirkt werden. Nach dem Motto, jeder müsse in seinem Rahmen tun, was möglich ist, überlegt man in der VG Hachenburg, in der Haushaltsplanung kleine Beträge anzusetzen, die der Förderung von Praxisansiedlungen und -übernahmen zugutekommen sollen. Auch um Stipendien zum Medizinstudium zu unterstützen, insoweit sich Studierende verpflichten, in der VG Hachenburg zu praktizieren. Wenn die KV auch aktuell eine gute Versorgung im Bereich Hachenburg festgestellt habe, sieht Greis im demografischen Wandel fehlende Nachfolgen für ansässige Praxen.

Das Thema "Ärzte der Zukunft" schätzt auch Dietmar Henrich als versäumt ein. Sei es in der Schaffung von Studienplätzen oder beim Herabsetzen des Numerus clausus. "Die Auswirkungen werden immer spürbarer". In der ländlichen Struktur hält der Verbandsgemeindebürgermeister es ebenfalls für wichtig, eine gute Infrastruktur zu schaffen und zu erhalten. So blickt er auf den Glasfaserausbau, wovon die Telemedizin deutlich profitieren kann. In enger Zusammenarbeit auch mit den Landtagsabgeordneten aus der Region müsse man erreichen, Perspektiven zu schaffen, die junge Menschen bewegen, auf dem Land zu bleiben. (KathaBe)
       
 
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