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Nachricht vom 05.01.2012
Wirtschaft
Mit ihren Pflanzen „sprechen“ sie ohne Worte
Rheinbrohler Gärtnerei beschäftigt gleich zwei gehörlose Mitarbeiter

Rheinbrohl. Leicht ist ihm die Entscheidung nicht gefallen, gibt Wolfgang Becker offen zu. Als Ronny Pirsch sich vor dreieinhalb Jahren bei ihm um einen Ausbildungsplatz bewarb, da zögerte der Gärtnereibesitzer. Der junge Mann war ihm zwar auf Anhieb sympathisch, aber er war auch gehörlos.
Gärtnermeister Wolfgang Becker mit seinen gehörlosen Lehrlingen Ronny Pirsch und Tobias Linnig (von links).Und damit hatte der Rheinbrohler eben erst schlechte Erfahrungen gemacht: Sein erster hörgeschädigter Lehrling hatte die Ausbildung vorzeitig abgebrochen – gerade als die sechs Beschäftigten des Betriebs sich an den Umgang mit dem schwerbehinderten Kollegen gewöhnt hatten. Sollte er seinem kleinen Betrieb tatsächlich noch einmal eine solche Herausforderung zumuten?

Becker zweifelte, aber er brachte es auch nicht übers Herz, einfach nein zu sagen. Also machte Ronny erst eins und dann noch ein zweites Praktikum in der Gärtnerei. Und dann war der fröhliche junge Mann seinem Chef schon so ans Herz gewachsen, dass der alle Bedenken in den Wind schlug und sich noch einmal auf das Abenteuer einließ.

Bereut hat er es nicht. „Es gab keine Probleme, die es nicht auch mit einem nicht behinderten Jugendlichen gegeben hätte“, meint er. Mal davon abgesehen, dass Ronny nicht mit Kunden sprechen kann. Deshalb stellt sein Chef ihn immer persönlich bei seinen Auftraggebern vor und erklärt ihnen die Situation. Überhaupt: „Alles, was ich anderen Mitarbeitern erklären kann, muss ich Ronny zeigen. Aber mittlerweile haben wir uns alle daran gewöhnt.“

Nur in der Berufsschule stellte sich bald heraus, dass der seit Geburt völlig gehörlose Ronny den Prüfungsstoff nicht ohne weiteres meistern würde. Mit Hilfe seines Reha-Beraters bei der Agentur für Arbeit und dem Berufsbildungswerk in Heimbach-Weis fand sich aber auch dafür eine Lösung: Ronny sattelte um auf „Gartenfachangestellter“, eine Ausbildung, bei der der theoretische Lernstoff wesentlich leichter ist.

Seine Gesellenprüfung schaffte er im letzten Sommer als Tagesbester mit der Traumnote 2,2.

Dass er mit dem heute 22Jährigen einen guten „Fang“ gemacht hatte, wusste Wolfgang Becker da schon längst. Und deshalb entschloss er sich auch, den jungen Mitarbeiter nach der Lehre zu übernehmen. Einzige Bedingung: Ronny muss den Führerschein machen, um zum Beispiel auch mal alleine auf den Großmarkt fahren zu können.

So einfach wie für andere Jugendliche seines Alters ist dieses Unterfangen für den jungen Gärtner zwar nicht, aber Ronny hat dem mehrmonatigen Besuch der Spezial-Fahrschule trotzdem freudestrahlend zugestimmt.

Überhaupt kommt der junge Mann kaum aus dem Lächeln heraus, wenn er an die letzten Monate denkt: Tolle Prüfung, die Übernahme nach der Lehre und als beruflichen Ritterschlag die Beteiligung an der Koblenzer BUGA, wo er gemeinsam mit dem Becker-Team für eine Grabgestaltung zwei Silber- und eine Goldmedaille einheimste.

Keine Frage: Ronny Pirsch ist trotz seiner Behinderung völlig in den kleinen Gärtnereibetrieb integriert. Deshalb war es wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Jugendliche an Beckers Tür klopfte.

Tobias Linnig ist ebenfalls hörgeschädigt und ein Freund von Ronny. Mit Staunen hatte er beobachtet, wie viel Freude Ronny seine Ausbildung machte und wie viel Anerkennung er dort erfuhr. Weil er bereits ein Praktikum als Landschaftsgärtner gemacht hatte, wusste er auch, dass ihm der Beruf liegen würde.

Also stand Wolfgang Becker vor der schwierigen Entscheidung, ob sein Minibetrieb einen zweiten schwerbehinderten Mitarbeiter verkraften kann. Dass er sich vor einigen Wochen auch darauf noch einließ, hatte mehrere Gründe.

Nicht zuletzt wird durch den 18-jährigen Tobias die Verständigung mit Ronny erleichtet, denn dem Jüngeren wurde bereits in früher Kindheit ein so genanntes Cochlea-Implantat eingesetzt. Dadurch kann er sich deutlich besser mit seiner Umwelt verständigen als sein völlig gehörloser Freund.

Doch kein Segen, in dem nicht auch ein Fluch steckt: Gerade die Tatsache, dass Tobias vieles verstehen kann und auch stolz darauf ist, sorgt häufig für Missverständnisse. Zu spät stellt sich nämlich dann heraus, dass doch nicht jede Botschaft seines Chefs bei ihm angekommen ist.

„Das ist schon anstrengend“, räumt Becker ein. „Wir haben uns noch nicht richtig aufeinander eingestellt. Ich darf seine Möglichkeiten nicht überschätzen und Tobias muss lernen, deutlich zu sagen, wann er etwas nicht richtig verstanden hat. Damit können wir durch unsere Erfahrung mit Ronny ja alle gut umgehen.“

Es gibt aber auch Dinge, die bei Tobias viel unkomplizierter sind. So will er in jedem Fall versuchen, die „normale“ Gärtnerprüfung abzulegen. Um ihn dabei zu unterstützen, arbeitet die Berufs- mit der Gehörlosenschule zusammen, wo er an zwei Tagen pro Monat den Lehrstoff nacharbeitet.

Gefördert wird das über die ausbildungsbegleitenden Hilfen der Agentur für Arbeit. „Oft sind es verhältnismäßig kleine Dinge, die am Ende über Erfolg oder Scheitern entscheiden“, weiß Mario Görgens, Leiter des Teams Reha bei der Agentur für Arbeit in Neuwied. „Wichtig ist vor allem, dass Arbeitgeber wissen, an wen sie sich wenden können, wenn es tatsächlich mal Probleme gibt. Dann lässt sich vieles regeln.“

Ein Berater der Arbeitsagentur steht den Betrieben deshalb während der gesamten Ausbildungszeit, aber auch bei Fragen zu Einstellung und Übernahme zur Seite.

In der Rheinbrohler Gärtnerei nutzen derzeit alle den ruhigeren Winter für eine kleine Verschnaufpause und die Vorbereitung auf kommende Aufgaben. Ronny und Tobias blicken schon weit in die Zukunft: Im übernächsten Frühjahr hoffen sie mit ihrem Betrieb an der Internationalen Gartenschau in Hamburg teilnehmen zu können, um den Koblenzer BUGA-Erfolg zu wiederholen.
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