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Nachricht vom 02.07.2024
Region
Bei tristem Wetter ließ Mario Giordano den Süden nach Altenkirchen kommen
Im Rahmen der 23. Westerwälder Literaturtage war der vielseitige Bestseller-Autor Mario Giordano in der Bücherei in Altenkirchen zu Gast. Bei Regen vor der Tür entführte er den voll besetzten Gemeindesaal in die südliche Sonne Siziliens.
Mario Giordano stellte seinen neuen Roman "Die Frauen der Familie Carbonaro" vor (Foto: Ulrike Puderbach)Altenkirchen. Nach der Begrüßung durch Frau Katharina Rosbach vom Buchladen Wissen, die eine Mit-Organisatorin der Westerwälder Literaturtage ist, kam auch Bürgermeister Manfred Geis zu Wort. Er sprach an, dass eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit durch Migration bedingt die Verständigung ist. Für diese spielen die öffentlichen Büchereien eine entscheidende Rolle. Einen besonderen Dank sprach er dafür Frau Dorothee Rosenthal für ihre Integrationsarbeit und die Organisation der Veranstaltung aus.

Über den Autor
Der 1963 in München geborene Giordano ist bereits seit 30 Jahren Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine Romane sind in über 15 Sprachen übersetzt worden und seine "Tante Poldi"-Krimis erfreuen sich großer Beliebtheit. Im zweiten Band seiner in Sizilien spielenden Familiensaga "Die Frauen der Familie Carbonaro" lässt der Autor drei Frauen der deutsch-italienischen Familie ihre Geschichte erzählen. Nach dem Abschluss des ersten Bandes "Terra di Sicilia" entschied er, dass die Frauen zu kurz gekommen seien und widmete ihnen den zweiten Teil.

Giordano begrüßte seine zahlreich erschienen Gäste und sagte, dass er sich immer besonders freue, in einer öffentlichen Bibliothek lesen zu dürfen, da seine eigene Lesesozialisation in öffentlichen Büchereien begonnen habe. Auf Grund seines Lesepensums wäre die Ausleihe die einzige Möglichkeit gewesen, seinen Wissendurst zu stillen.

"Die Frauen der Familie Carbonaro
Im Prolog erscheinen ihm die Gespenster seiner Urgroßmutter, Großmutter und Tante im alten Carbonaro-Anwesen, um ihn zu ermutigen, sie nicht zu vergessen. Als erste der drei Carbonaro-Frauen stellt der Autor seine Urgroßmutter Pina vor – eine kleine, ordentliche, sehr streng wirkende Frau, die insgesamt 23 Kinder zur Welt gebracht hat, von denen nur sechs überlebten und deren Mutter von ihrem Vater durch Schläge zerbrochen wurde. "Frauen in dieser Zeit durften so ziemlich alles nicht sein", so der Autor über die 1896 in Sizilien geborene Pina. Pinas Vater riss sich nach dem Sturz des Adels Stück für Stück das gute Land unter den Nagel und ging dabei nicht zimperlich vor. Die Gerüchte im Buch erzählen von Enthauptungen, durchgeschnittenen Kehlen, Strömen von Blut und auf mysteriöse Weise verschwundenen Personen.

Anna, seine Großmutter, ist die älteste von drei Töchtern aus einfachen, aber nicht armen Verhältnissen. Sie hütet ein Geheimnis, denn sie möchte Sängerin werden und so nimmt sie bei der alternden Diva Señora Arombulu heimlich Gesangsstunden. Dort lernt sie ihren späteren Mann, den Schneider Antonino Carbonaro kennen, mit dem sie 1939 nach Deutschland einwandert, um ihren Schwiegervater in seinem Südfrüchte-Großhandel zu unterstützen. Der Bienenstich als typisch deutsches Gebäck lässt Anna lernen, Deutschland zu mögen. Für sie ist die deutsche Sprache ein wenig wie der Bienenstich – hart an der Oberfläche, weich, süß und reichhaltig darunter, wenn man die Tiefen verstanden hat.

Frage- und Signierstunde
Im Anschluss an die Lesung stellte sich der Autor den Fragen der Gäste, die auch zahlreich aus dem Plenum kamen. Eine Frage war die nach den Gespenstern, die immer wieder in seinen Romanen vorkommen. Giordano erklärte, dass die Gespenster in den Romanen symbolisch für die Dämonen stehen, die jeder sein ganzes Leben lang mit sich herum trägt – die Dämonen, die vorgeben, was man soll, muss und kann, also die Kräfte, die an jedem zerren. Das große Privileg der Literatur ist, dass sie diese Kräfte sichtbar machen kann. Er beantwortete auch die Frage nach dem Unterschied zwischen dem Schreiben eines Romans und eines Drehbuchs. Während beim Drehbuch alles vorher genau festgelegt sein muss und das Schreiben nur noch rein handwerkliche Arbeit ist, entwickelt sich der Roman erst während des Schreibens und kann auch mittendrin noch unerwartet eine Wendung nehmen. Nach vielen weiteren Fragen signierte Giordano auch noch zahlreiche Bücher, bevor der Abend zu Ende war. (Ulrike Puderbach)
 
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Quelle: 1719957600