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Nachricht vom 03.06.2013
Region
Gemeinden und Verbände klagen gegen Kuhheck-Entscheid
Die Errichtung von vier Windenergieanlagen in der Gemarkung Marienhausen/Exklave Kuhheck ist rechtswidrig, ist die Überzeugung der Verbandsgemeinden Hachenburg und Selters sowie der großen Naturschutzverbände. Sie wollen Rechtsmittel gegen die jüngste Entscheidung der Kreisverwaltung Neuwied einlegen.
Fern von Marienhausen und außerhalb des Kreises Neuwied liegt die Exklave Kuhheck, in der die Kreisverwaltung Neuwied den Bau von vier Windenergieanlagen genehmigt hat. Mit Genehmigungsbescheid vom 29.04.2013 hatte die Kreisverwaltung Neuwied als Untere Immissionsschutzbehörde die Errichtung von vier Windenergieanlagen mit jeweils knapp 200 Meter Gesamthöhe in einer Gemarkung von Marienhausen („Kuhheck“) genehmigt.

In einer gemeinsamen Presseerklärung schreiben die Bürgermeister Peter Klöckner (VG Hachenburg) und Klaus Müller (VG Selters) sowie die beteiligten Naturschutzverbände: „Die Errichtung und der Betrieb von WEA in der Kuhheck sind u. E. unvereinbar mit dem gesetzlichen Schutz von Rotmilan und Schwarzstorch und daher rechtswidrig.“ Sowohl der Bund für Umwelt und Naturschutz Rheinland-Pfalz (BUND) für die Naturschutzverbände als auch die Verbandsgemeinden Hachenburg und Selters für die Kommunen haben daher gegen den Genehmigungsbescheid der Kreisverwaltung Neuwied Rechtsmittel eingelegt. Offiziell handelt es sich dabei um einen Widerspruch beim Kreisrechtsausschuss.

Im Genehmigungsverfahren habe die Obere Naturschutzbehörde mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass ein erhöhtes Tötungsrisiko für Rotmilan und Schwarzstorch bestehe. Die Genehmigung war deswegen im März 2012 versagt worden. Als die Firma EAP EnBW ALTUS Projektentwicklungsgesellschaft mbH der Versagung widersprach, stellte auch der Kreisrechtsausschuss das Vorliegen der naturschutzrechtlichen Verbotstatbestände nach § 44 BNatschG nicht in Frage. Er war jedoch der Meinung, von diesen Verbotstatbeständen müsse eine Befreiung erfolgen, weil die Versagung für den Betroffenen "im Rahmen einer Abwägung mit dem öffentlichen Interesse" an der Windenergienutzung unzumutbar sei.

Der Kreisrechtssausschuss sah sich jedoch nach der Interpretation der Kuhheck-Gegner trotz dieser Einschätzung nicht in der Lage den Kreis zu verpflichten, die Genehmigung zu erteilen. Unter anderem, weil er das Vorliegen von Planungsalternativen erkannte und es deswegen für erforderlich hielt, dass vor Genehmigungserteilung diese Alternativen zum Gegenstand eines Aufstellungsverfahrens für einen Flächennutzungsplans gemacht werden.

Nun klagte die Projektentwicklungsgesellschaft auf Erteilung der Genehmigung. Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz forderte den Kreis auf, entsprechend dem Tenor des Widerspruchsbescheides bis zum 30.4.2013 zu entscheiden. Die betroffenen Nachbargemeinden im Westerwaldkreis und die Naturschutzorganisationen meinen: „Nach dem Tenor aber hätte der Kreis die Genehmigung erneut versagen müssen!“

„Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Kreis seine naturschutzrechtliche Einschätzung, kaum ein Jahr alt, nun komplett über den Haufen wirft. Dass der Artenschutz mit einer solchen Genehmigung nicht vereinbar ist, ist offenkundig und unstrittig“, betont Harry Neumann, Landesvorsitzender des BUND Rheinland-Pfalz.

„Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Kreisverwaltung Neuwied nunmehr wieder besseren Wissens über die fachbehördliche Stellungnahme der SGD Nord hinweggesetzt und eine Genehmigung erteilt hat. Dieses Vorgehen werden wir keinesfalls akzeptierten und sowohl die betroffenen Kommunen als auch die Naturschutzverbände bei den nun folgenden rechtlichen Schritten unterstützen“, machte Peter Klöckner, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Hachenburg unmissverständlich deutlich.

Eine Ausnahmegenehmigung könne nicht erteilt werden, weil es genügend Alternativen in den angrenzenden Naturräumen gibt, betonen die Naturschutzverbände.

„Die Nachbarkommunen haben mehrfach darauf hingewiesen, dass keine hinreichend inhaltliche, interkommunale Abstimmung stattgefunden habe. Die Exklave Kuhheck ist von allen Seiten von den Verbandsgemeinden Hachenburg und Selters (beide Westerwaldkreis) umgeben, die ihrerseits bereits windenergie-steuernde Flächennutzungspläne aufgestellt haben. Der Kreisrechtsausschuss Neuwied hat diese entgegenstehenden öffentlichen Belange im Widerspruchsbescheid vom 24.09.2012 bestätigt“, bringt Bürgermeister Klaus Müller seine Verwunderung zum Ausdruck. „Dieses ist auch mit der baurechtlichen Privilegierung der Windenergienutzung nicht mehr zu begründen.“

Die Bürgerinitiative Rettet die Kuhheck e. V. zeigt sich empört über diese gegen den Willen der Bürger und Bürgerinnen erteilte Genehmigung. „Wir sind überaus dankbar, dass wir zusammen mit den Naturschutzverbänden BUND, NABU, GNOR sowie den Verbandsgemeinden Hachenburg und Selters und den Ortsgemeinden Freirachdorf, Mündersbach und Roßbach unter Ausschöpfung aller demokratischen Rechte offensichtliches Unrecht abwenden können. Nur so kann eine naturverträgliche und nachhaltige Energiewende in Rheinland-Pfalz verwirklicht werden. Wir kennen niemanden in Rheinland-Pfalz außer der Kreisverwaltung Neuwied und dem Betreiber, der Windenergieanlagen an diesem windschwachen Standort befürwortet“, erklärte die BI-Sprecherin Ilse Bracher.

„Hinzu kommt, dass nach unserer Kenntnis die Obere Naturschutzbehörde im erneuten Genehmigungsverfahren nicht beteiligt wurde, was aber zwingend geboten wäre und somit einen Verstoß gegen die Mitwirkungsrechte der einzubeziehenden Fachbehörde darstellt, insbesondere unter dem Aspekt des § 67 II Bundesnaturschutzgesetz im Rahmen des bundesimmissionsschutzrechtlichen Verfahrens“, ergänzt Siegfried Schuch, NABU-Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz.

„Wir halten es zudem auch für rechtswidrig, dass die Kreisverwaltung Neuwied die Einschätzungsprärogative der Oberen Fachbehörde ersetzen oder verändern darf“, betont Dr. Peter Keller, Vorsitzender der GNOR Rheinland-Pfalz.

„Die Kuhheck ist rheinland-pfälzisches Kerngebiet eines Dichtezentrums für die europaweit streng geschützte Art Rotmilan. Zudem liegt eine erhebliche Gefährdung des hier brütenden Kolkraben vor, so dass wir das u.E. politisch motivierte Vorgehen der Kreisverwaltung Neuwied keinesfalls akzeptieren und auch dagegen klagen werden“, unterstreicht der Landesvorsitzende des BUND, Harry Neumann.

Auch die Abstandsempfehlung von 3.000 Meter zum Schwarzstorchhorst werde ohne Begründung nicht beachtet, es liege somit artenschutzrechtlich ein erheblicher Verstoß gegen die Verbotstatbestände des Bundesnaturschutzgesetzes vor (u.a. Tötungsverbot, Störungsverbot). Diese Einschätzung sei mehrfach von der Oberen Naturschutzbehörde bestätigt worden.

„Sollten Windenergieanlagen an dieser Stelle realisiert werden können, wird die Akzeptanz in der Bevölkerung weiter abnehmen und die naturverträgliche Energiewende gefährden, zumal Wirtschaftsministerin Eveline Lemke öffentlich erklärt hat, dass Windenergieanlagen dort nicht errichtet würden, wo die Bevölkerung diese nicht wolle. Dies ist neben den naturschutzfachlichen und artenschutzrechtlichen Aspekten in der Exklave Marienhausen zweifelsfrei gegeben“, erklären die Landesvorsitzenden der drei Naturschutzverbände Dr. Peter Keller (GNOR), Harry Neumann (BUND) und Siegfried Schuch (NABU).

Auf der Veranstaltung von Bündnis90/Die Grünen am 4. Mai in Kirchen (LEP IV) habe der Präsident der SGD Nord, Dr. Ulrich Kleemann, gemeinsam mit Staatsministerin Eveline Lemke sinngemäß erklärt, dass es „hier nicht so gelaufen sei, wie es hätte laufen sollen“ und dass die „Kuhheck kein geeigneter Standort für Windenergieanlagen sei“, behaupten die Beschwerdeführer.

Die anerkannten Naturschutzverbände BUND, NABU, und GNOR haben daher den Präsidenten der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord Dr. Ulrich Kleemann aufgefordert, den Genehmigungsbescheid der Kreisverwaltung Neuwied vom 29.04.2013 aus den genannten Gründen mit sofortiger Wirkung aufzuheben: „Nach unserer Auffassung ist die Aufsichtsbehörde bei den hier offensichtlich vorliegenden Rechtsverstößen hierzu verpflichtet. Herr Dr. Kleemann kann hier nicht einfach in Deckung gehen, er muss sich schützend vor seine Obere Naturschutzbehörde und den Artenschutz stellen“, fordern die Vertreter der Kommunen und Verbände.
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