NR-Kurier |
Ihre Internetzeitung für den Kreis Neuwied |
|
Nachricht vom 01.04.2018 |
|
Kultur |
Buchtipp: Wissenswege als Kulturbrücken |
|
Die momentane Kulturkrise zwischen Europa und der arabisch-islamischen Welt könnte durch eine Wiederaufnahme des europäisch-arabischen Kulturaustausches beendet werden, dafür werben Mamoun Fansa und Detlev Quintern, die aufzeigen, wie die Wissenschaften im Islam (8. bis 16. Jahrhundert) die auf die kulturelle Entwicklung des Abendlandes einst positiven Einfluss nahmen. |
|
Region. Die beiden Autoren betonen: „Die Betrachtung der Entwicklung der arabisch-islamischen Kultur und ihrer Verbindung nach Europa darf nicht nur auf die religiöse Ebene beschränkt bleiben, sondern die Gesamtheit dieser Kultur und ihr Einfluss auf die Menschheitsentwicklung, insbesondere auf das Europa in der Zeit vom 8. bis 16. Jahrhundert, ist beachtlich und muss Gegenstand der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion werden.“ Nur auf der Basis des Wissens um die Schnittpunkte könne eine dauerhafte Verständigung auch zwischen den beiden religiösen Sphären möglich sein.
Die Wege der Wissenschaft aus dem Orient nach Europa sind verschlungen und weit zurückreichend. Bereits das antike Griechenland profitierte von mathematischen und astronomischen Kenntnissen der Ägypter und Babylonier. Ab der Mitte des 8. Jahrhunderts förderten die abbasidischen Kalifen wissenschaftliche Forschungen. Es bestand im islamischen Reich eine große Vielfalt an Völkern, Sprachen und Kulturen. Ihre Vertreter waren Christen, Juden, Sabier, Zoroastrier. Nach der islamischen Eroberung Spaniens entwickelte sich Cordoba durch eine geschickte Steuerpolitik und umfassende Verwaltungsmaßnahmen zu einem lebendigen Wirtschafts- und Kulturzentrum.
Nach dem Ende der Staufferherrschaft gründeten sich toskanische Universitäten, die sich intensiv mit Naturforschung, Medizin, historischen, theologischen und philosophischen Themen befassten. Die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert erleichterte Erforschung und Verbreitung des Wissens, denn eine arabische Spruchweisheit lautet: „das Unglück der Wissenschaft ist die Vergessenheit.“ Anhand nur einiger Beispiele aus einzelnen Wissenschaften soll hier der kulturfördernde Anschub kurz angerissen werden.
Eine frühe Aufklärung ging im 8. Jahrhundert von Bagdad aus durch die Enzyklopädie des Autoren-Kollektivs „Ihwan as-Safa“ (Die aufrechten Geschwister) und fand ihren Eingang in französische Wissenschaften. Astronomie und Mathematik wurden von Arabern begründet, Alexander von Humboldt bezeichnete die Araber als Begründer der Physik. Sie legten Grundlagen für die moderne Optik, durch die Kepler Mikroskop und Teleskop erfinden konnte. Die mechanischen Kenntnisse der Araber führten zur Entwicklung der Pendeluhr. An allen italienischen und französischen Universitäten wurden vom 12. Bis 17. Jahrhundert aus den medizinischen Lehrbüchern von Ibn Sina gelehrt. Dass die europäische Zivilisation im Zeitalter der Kreuzzüge von dem Kontakt mit der arabisch-islamischen Kultur sehr profitiert hat, ist sogar Stoff des Geschichtsunterrichts.
Übersetzungen arabischer Medizinbücher ins Lateinische – etwa „Qanun“ durch Gerhard von Cremona oder „Gami al-adwiya al mufrada“ durch Simon von Genua hatten großen Einfluss auf die akademische und sogar auf die einsetzende populäre Literatur. Sandsteinportraits aus dem Jahr 1612 an der Ratsapotheke in Lemgo stellen Hippokrates, Aristoteles, Dioskurides, Galen, Raimundus Lullus, Paracelsus sowie Rhases (ar-Razi) und Geber Arabs (Dshabir) im Bewusstsein der Einheit der Medizingeschichte dar, denn Ar-Razi vertrat eine ethisch-moralische Psychologie als Prävention.
Die arabisch-islamische Philosophie bildete nicht nur eine Brücke zwischen den Kulturen, sie stellte nach Bloch zugleich den Merk- und Wendepunkt in der Betrachtung und Entwicklung der antiken Philosophie dar. Ibn Arabi hinterließ ein umfangreiches Werk, das wesentlich um die „Einheit des Seins beziehungsweise der Existenz“ kreist, die „eine unaufhebbare Verbindung zwischen dem Sein Gottes und seiner Schöpfung annimmt“.
Humboldt zählt zu den Universalgelehrten der Aufklärung, welche die arabischen Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften zu würdigen wusste. Das gilt insbesondere für die arabische Geschichte der Geo- und Kartografie, die lange vor Peter dem Großen Zentralasien genau erfasst hatte.
Zu dem herausragende Werken über politische Philosophie und Soziologie gehört „Die vorbildliche Stadt“ von Al-Farabi, der zu der Schlussfolgerung gelangt, dass ein vollkommener Staat die gesamte bewohnte Welt und damit die ganze Menschheit umfassen sollte und seinen Bürgern eine vollkommene Regierung auf Erden und Glückseligkeit nach dem Tode sichern sollte. Die ideale Stadt solle von einem oder zwei Herrschern regiert werden mit den Eigenschaften: hohe Intelligenz, Gerechtigkeitsliebe, Zielbewusstsein, sowie immer die Entschlossenheit, Gutes zu tun.
Abdurrahman Mohammed Ibn Khaldun, einer der bekanntesten Sozialwissenschaftler der arabisch-islamischen Kultur im Mittelalter, gilt als Begründer der Sozialwissenschaft. Er verfasste eine Geschichte der Welt in drei Bänden. Khaldun setzte voraus, dass zwischen dem Leben eines Staates und dem eines Menschen eine vollkommene Analogie besteht. Wie alle Lebewesen, werden Staaten geboren, sie wachsen und sterben und sind gewissen naturbedingten Entwicklungen unterworfen.
Arabisches Kunsthandwerk in Europa von den Omayyaden bis zum Ende des Mittelalters sowie die Theorie der Musik von al-Farabi sind ebenfalls Zeugnisse arabisch-islamischer Wissenschaften, die die europäische Kultur befruchteten. Ihr Auf- und Abstieg in der Geschichte infolge religiöser Streitigkeiten und der Abkehr vom Imperium mit Sitz in Konstantinopel, das Aufkommen und die rasche Verbreitung des Islams, stürzten das westliche Imperium in eine tiefe Toleranz- und Wissenskrise. Bereits der mit den Wefen verwandte Kastilier Alfons X. „der Weise“, entwickelte im 13. Jahrhundert eine Vision eines plurireligiösen und multikulturellen Europa, die dem Vatikan jedoch suspekt war. Albrecht Dürer schließlich, der „deutscheste aller deutschen Künstler“, profitierte in der Renaissance vom Wissen des Orients.
Versehen mit zahlreichen Quellenangaben und anschaulichen Buntbildern, animiert der Band den Leser, endlich wieder mit mehr Toleranz und positiver Erwartung an arabisch-islamische Erkenntnisse heran zu gehen. Das Buch ist erschienen im Verlag Nünnerich-Asmus, ISBN 978-3-961760-09-1 und kostet 24,90 Euro. htv
|
|
Nachricht vom 01.04.2018 |
www.nr-kurier.de |
|
|
|
|
|
|