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Nachricht vom 29.09.2019
Kultur
„Heimat ist, was man vermisst“ mit Sebastian Schnoy
Wo Sebastian Schnoy mit dem Zeigefinger auf Stereotypen zeigt, da bleibt kein Auge trocken. Das durften die rund einhundert Gäste im „Hotel zur Post“ in Waldbreitbach am Sonntagabend live erleben, denn dort war der Autor und Kabarettist im Rahmen der Westerwälder Literaturtage mit seinem aktuellen Programm „Heimat ist, was man vermisst“ zu Gast.
Sebastian Schnoy nimmt gerne Stereotype auseinander. Foto: UPWaldbreitbach. Passend zum Oberthema dieses Jahres „Heimat/en“ brannte der Kabarettist ein Feuerwerk an Gags ab, bei dem die Zuhörer aus dem Lachen nicht mehr herauskamen. Schnoy kennt keine Gnade und sein fundiertes Wissen über deutsche und europäische Geschichte versetzt so manchen Gast in Erstaunen, wenn er auch über die durchaus dunklen Punkte in unserer Geschichte schonungslos spricht und den Finger in die Wunde legt.

Als Kind der 70er einer Arbeiterfamilie, das aus gespülten Senfgläsern zum Abendessen Milch oder Hagebuttentee getrunken hat, erzählt er in seiner unnachahmlichen Art von harmonischen Urlauben in einer Ferienwohnung in Gorleben – in unmittelbarer Nähe der Atomgegner, ohne diese Bedrohung bewusst wahrzunehmen. Im Angesicht der aktuellen Klimadiskussion zeigt Schnoy schonungslos auf, dass seine Generation, was die Nachhaltigkeit angeht, schon vor Jahrzehnten die Dinge getan hat, die die Klimaaktivisten heute fordern. Denn damals gab es keine Coffee to go-Becher und statt Plastiktüten wurde das Picknick am See in Brotdosen gepackt.

Schnoys Kernaussage in seinem Programm ist einfach, dass wir Deutsche den Mut haben müssen, vielleicht manchmal nicht „typisch deutsch“ zu sein und einfach mal statt Frühstück mit Müsli und Vollkornbrot unserem Bedürfnis nach Weißbrot und Croissant nachzugeben. Mit dieser Metapher ermutigt er seine Zuhörer, nicht mehr völlig sinnlose Dinge bis zum bitteren Ende durchzuziehen, sondern sich ein Beispiel an den anderen Europäern nehmen und das Leben ein wenig mehr genießen. Er sieht als größtes Problem in Deutschland die Selbstverleugnung der eigenen Kultur.

Und wenn man schon von Geschichte spricht, dann sollte man sich der Tatsache bewusst sein, dass der Grundstein des Volkswagen-Werkes 1939 von Adolf Hitler persönlich gelegt wurde und dass Ferdinand Porsche in großem Stile Zwangsarbeiter angefordert hat, denen ihre Kinder weggenommen und mit einer Sterblichkeitsrate von 70-100% in Heimen untergebracht wurden.

Schnoy bringt mit Hilfe von Tatsachen genau die Dinge auf den Punkt, über die dringend nachgedacht werden muss, ohne mit erhobenem Zeigefinger zu drohen.
Seine Zuhörer haben an diesem Abend viel gelacht, aber auch einige Denkanstöße mit nach Hause genommen – das Erfolgsrezept, mit dem Schnoy die Menschen zum Nachdenken anregt. Heimat ist eben das, was zu Hause unsichtbar ist und was man erst vermisst, wenn es auf einmal nicht mehr da ist. (UP)
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