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Nachricht vom 31.10.2020
Region
Vor 50 Jahren entstand die neue Stadt Neuwied
Ein Landesgesetz für die Verwaltungsvereinfachung vom 28. Juli 1970 zeichnete die regionale Landkarte neu – auch im Norden von Rheinland-Pfalz. Als es am 7. November in Kraft trat, verdoppelte sich auf einen Schlag die Einwohnerzahl Neuwieds, die Fläche der Stadt wuchs gar um das Siebenfache. Was war passiert?
Ludwig Schön war erster Oberbürgermeister des „neuen“ Neuwied. Foto: Stadt NeuwiedNeuwied. Nun, zwei Städte, sechs Gemeinden und zwei Verbandsgemeinden hatten ihre Auslösung erlebt. Die bisherigen Städte Neuwied und Engers, die Gemeinden Gladbach, Heimbach-Weis, Altwied, Feldkirchen, Niederbieber-Segendorf und Oberbieber sowie die Verbandsgemeinden Engers und Niederbieber-Segendorf (dazu zählten ursprünglich noch Datzeroth und Melsbach) gingen in der neuen, großen Stadt Neuwied auf. Irlich hatte sich der Deichstadt bereits 1969 angeschlossen.

Die Kommunalreform kam nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel. Sie setzte zum Teil Ideen um, die schon Jahrzehnte zuvor diskutiert, aber aufgrund des Ausbruchs des 2. Weltkrieges und der nachfolgenden Wiederaufbauphase nicht realisiert worden waren. Mitte der 1960er-Jahre platzte Neuwied aus allen Nähten, die engen Gemarkungsgrenzen hinderten die Stadt an ihrer weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Bei den Gemeinden wiederum, die wie ein Halbmond um die Deichstadt liegen, bestand infrastruktureller Nachholbedarf. Die Kommunalreformer verfolgten mit der Gründung größerer Einheiten das Ziel einer einheitlichen Lösung für stetig wachsende Verwaltungsaufgaben und aufkommende Wirtschaftsprobleme. Ziele, die in der Bevölkerung nicht unumstritten waren. Vor allem aus Engers, Gladbach und Heimbach-Weis kam viel Kritik.

Was für die einen den Verlust der Eigenständigkeit bedeutete, war für die anderen der Beginn neuer Größe. Das frisch aus der Taufe gehobene „neue“ Neuwied - große kreisangehörige Stadt war es bereits seit dem 1. April 1960 - hatte plötzlich rund 63.400 Einwohner – statt zuvor rund 31.200. 15 Jahre später, Ende 1995, erreichte die Bevölkerungszahl mit 67.374 ihren bisherigen Höchststand. Heute sind es knapp 66.000.

Am 8. November 1970, einen Tag nach dem Inkrafttreten des Landesgesetzes, waren die Neuwieder erstmals aufgerufen, ihren neuen Stadtrat zu wählen. Der trat am 19. Dezember 1970 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Eine neue Epoche begann. Erster Oberbürgermeister wurde Ludwig Schön (SPD), mit Karl-Heinz Schmelzer, Manfred Scherrer und Nikolaus Roth folgten weitere Sozialdemokraten. Seit Roths plötzlichem Tod im Jahr 2017 steht Jan Einig (CDU) an der Spitze der Verwaltung.

Stichwort Verwaltung: Die Neuwieder standen vor der Herausforderung, die bislang selbstständigen Verwaltungen nach Fachgebieten neu zusammenfassen. Das war problematisch, weil ein geeignetes zentrales Gebäude für die neue Verwaltung nicht zur Verfügung stand. Als Folge gab es 20 Rathausfilialen, die sich über das gesamte neue Stadtgebiet verteilten. Ein wichtiger Schritt zu mehr Bürgerfreundlichkeit war die Konzentrierung eines Großteils der verstreut liegenden Ämter und Abteilungen im ehemalige Rasselstein-Hochhaus Ende der 90er-Jahre.

Bis zur Jahrtausendwende blieb Neuwied bedeutendes Mittelzentrum, attraktive Einkaufsstadt und wichtiger Industriestandort; die verkehrsgünstige Lage zwischen den Ballungsräumen Rhein-Ruhr und Rhein-Main trug zur Prosperität bei. Ausdruck dieser Stärke war in den 90er-Jahren der Ausbau mehrerer Gewerbegebiete. In den jüngsten zwei Jahrzehnten hat indes eine starke Veränderung eingesetzt. Wie viele Kommunen erlebt auch die Stadt an Rhein und Wied einen strukturellen Wandel, der vor allem den Einzelhandel, aber auch die Industrie betrifft. Viele alteingesessene Geschäfte sind aus dem Stadtbild verschwunden, bekannte Neuwieder „Marken“ haben sich entweder (gesund)geschrumpft (Winkler + Dünnebier) oder die Deichstadt ganz verlassen (Rasselstein). Andererseits ist es gelungen, neue Entwicklungen aufzugreifen und im Ansiedlungsbereich erfolgreich zu agieren. So konnten, neue international tätige Firmen nach Neuwied gelockt werden. Zuletzt sogar der E-Auto-Gigant Tesla.

Zudem hat sich Neuwied als „Stadt der Märkte“ überregional einen guten Ruf erarbeitet. Und sie punktet in Sachen Kultur, verfügt mit der Villa Musica und dem Schlosstheater über gleich zwei kulturelle Schwergewichte. Ihr über Jahrzehnte gewachsenes umfangreiches schulisches Angebot ist eine weitere Trumpfkarte.

Genauso wie die starke Position der einzelnen Stadtteile. „Sie haben sich ihre charakteristischen Eigenheiten bewahrt“, unterstreicht Oberbürgermeister Jan Einig. „Die ,neue‘ Stadt Neuwied ist 50 Jahre nach ihrer Gründung eine in und durch Vielfalt gewachsene Einheit. Das ist eine gute Voraussetzung für eine weitere positive Entwicklung.“
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