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Nachricht vom 14.12.2020
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Adventskalender – Teil 15: Julia
24 kurze Krimis im Postkartenformat begleiten uns in diesem Jahr durch den Advent. Die Idee dazu hatte die Literatur-Werkstatt in Altenkirchen, die sich jüngst mit „Postkarten-Krimis“ beschäftigte. Das Ergebnis: 24 spannende und vielfältige Mini-Krimis, die das Warten auf Weihnachten verkürzen.
Ich schrecke aus dem Schlaf auf. Schon wieder dieser Traum. Claras lebloser Körper im blutroten Wasser und ich versuche den Wannenstöpsel unter ihr zu ziehen, doch die Kette fehlt. Ich bekomme den Stöpsel nicht zu fassen. Dann spüre ich die Rasierklinge in meiner Hand. Dieser Albtraum will nicht aus meinem Kopf, er martert und quält mich. Ich traue mich nicht mehr einzuschlafen, habe Angst, der Traum verfolgt mich weiter. Letztendlich stehe ich auf, koche mir einen Kaffee und flüchte auf den Balkon in die sternenklare, kühle Nacht. Zitternd vor Angst und Kälte wärme ich meine Hände an der heißen Kaffeetasse. Plötzlich klingelt das Telefon. Um diese Zeit? Der Schreck fährt mir in die Glieder. Im Display leuchtet Julias Name. Ich möchte jetzt nicht telefonieren und ignoriere sie. Doch Julia ist hartnäckig. Immer wieder läutet das Telefon. Ich kann es nicht mehr ertragen, ich muss weg hier. Weinend verlasse ich meine Wohnung. Sogar draußen auf der Treppe höre ich noch das erbarmungslose Klingeln. Ich setze mich ins Auto und fahre zum Wald. Ich muss einen klaren Gedanken fassen. Lange stehe ich hier auf dem Waldweg, geschüttelt von Weinkrämpfen. Immer wieder meinen Albtraum vor Augen und die Worte des Versicherungsagenten im Ohr: „Bei Selbstmord zahlt keine Versicherung.“ Mit dem Fuß scharre ich ein Loch in den weichen Waldboden und lasse die Rasierklinge im Erdreich verschwinden. Ich tue es für Julia. Ohne Tatwaffe ist Selbstmord auszuschließen. Clara hätte es sicher so gewollt. Vorläufig werde ich jeglichen Kontakt zu Julia meiden.

© Sibylle in der Heiden 2020

Alle bisher erschienenen Teile unseres Adventskalenders lesen Sie HIER.





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